An sich war ja alles angerichtet, damit Stefan Zweig und seine zweite Frau Lotte in Petropolis heimisch würden. "Es gibt hier sogar Streuselkuchen", schrieb Lotte in einem Brief. Doch wurde der Schriftsteller im brasilianischen Exil nicht glücklich. Er und Lotte nahmen sich in der Nacht auf den 23. Februar 1942 das Leben.

Dabei verströmt die heute 300.000 Einwohner zählende, in den Bergen über der Millionenmetropole Rio de Janeiro gelegene Stadt zumindest im Zentrum bis heute den Charme eines etwas überdimensionalen Bad Ischl.

Zweig selbst hatte einmal über seinen letzten Fluchtort, in dem er ab 1941 in einem bescheidenen Haus in der Rua Goncalves Dias wohnte, festgehalten: "Selten in meinem Leben habe ich einen angenehmeren Ort gesehen, ruhig, eine geschmackvolle Stadt. Der kleine Bungalow mit seiner großen Terrasse hat eine wunderbare Sicht in die Berge, und gleich gegenüber hat es ein kleines Kaffeehaus, das Cafe Elegante, wo ich für ein paar Groschen einen wunderbaren Kaffee bekomme."

Die Auswanderer

Dass dies alles recht heimelig klingt, hat seinen Grund auch darin, dass es Auswanderer aus Tirol waren, die das klimatisch gemäßigtere Hochland hinter der damaligen Hauptstadt Rio (heute je nach Verkehr eine bis drei Autostunden entfernt) besiedelten. Sie waren von der aus Österreichs Herrscherhaus Habsburg stammenden Königin Leopoldina (1797 - 1826) ins Land gerufen worden. Rund zwanzig Jahre nach ihrem Tod ließ Kaiser Pedro II., Sohn von Leopoldina und ihrem Ehemann Pedro I., hier seine Sommerresidenz bauen. Pedro gab der Stadt auch ihren Namen.

Die Umgestaltung des Bergfleckens nahm der gebürtige Mainzer Julius Friedrich Koeler vor. So stehen heute rund um den Palast verstreut herrschaftliche Villen, die im Aussehen zwischen Fachwerkgiebeln, Neoklassik, Art deco und portugiesischem Kolonialstil lavieren. Mit allem Drum und Dran: Parks und Gärten mit akkurat geschnittenen Hecken und Springbrunnen dürfen ebenso nicht fehlen wie Fiaker für kutschierfreudige Touristen. Bis heute lebt hier eine deutsche Gemeinde, wie auch Stadtviertel mit den Namen "Bingen" oder "Mosela" erkennen lassen.

Stefan Zweig war auf seiner Flucht vor den Nazis und dem Zweiten Weltkrieg über Großbritannien und die USA nach Brasilien gekommen. In Petropolis schrieb er die "Schachnovelle" und kurz nach seiner zweiten Brasilienreise 1940 jenes Buch, das ihm in seinem Exilland gleichzeitig Ruhm und Kummer bescherte: "Brasilien. Ein Land der Zukunft" wurde viel rezipiert, aber auch kritisiert.

Idyllisches Bild

Zweig entwarf nämlich ein geradezu idyllisches Bild seiner Exilheimat. Angeekelt vom nationalsozialistischen Rassenwahn idealisierte er Brasilien als ein Land ohne Rassismus: "Während in unserer alten Welt mehr als je der Irrwitz vorherrscht, Menschen 'rassisch rein' aufzuzüchten zu wollen wie Rennpferde oder Hunde, beruht die brasilianische Nation seit Jahrhunderten einzig auf dem Prinzip der freien und ungehemmten Durchmischung, der völligen Gleichstellung von Schwarz und Weiß und Braun und Gelb."

Ähnliche Schönfärbereien sind auch in den historischen Abrissen zur Sklaverei zu finden. Wohlwollende Kritiker warfen ihm deshalb Naivität vor. Scharfzüngige brasilianische Intellektuelle geißelten das Buch aber als Auftragswerk von Diktator Getulio Vargas. Der Vorwurf ist unberechtigt, meint dazu Ursula Prutsch, Lateinamerika-Expertin an der Uni München und Vizepräsidentin des Wiener Lateinamerika-Institituts.

Das Regime

Zwar habe Zweig vom "Departmento de Imprensa e Propaganda" (Departement für Presse und Propaganda/DIP) etwa eine Forschungsreise nach Bahia gezahlt bekommen, ein direkter Einfluss auf das Buch sei jedoch nicht nachvollziehbar. "Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Regime hätte der Zensurapparat aber auch nicht zugelassen."

Allerdings fühlte sich Zweig möglicherweise zu Dank verpflichtet, weil ihn Brasilien aufgenommen und gleich eine Aufenthaltserlaubnis erteilt hatte. In seinem Abschiedsbrief schrieb der 61-Jährige: "Ehe ich aus freiem Willen und mit klaren Sinnen aus dem Leben scheide, drängt es mich, eine letzte Pflicht zu erfüllen: diesem wundervollen Land Brasilien zu danken, das mir und meiner Arbeit so gute und gastliche Rast gegeben hat. Mit jedem Tage habe ich dies Land mehr lieben gelernt."

Möglicherweise setzte er deshalb Scheuklappen auf und wollte nicht wahrhaben, dass die Brasilianer selbst in einer Diktatur lebten. Auch nicht, dass er und andere Exilanten dem seit 1937 regierenden Machthaber Getulio Vargas, der sogar antisemitische Tendenzen zeigte, als "Toleranzdekor" dienten, wie es Prutsch ausdrückt. Eben weil Vargas demonstrativ prominente jüdische Flüchtlinge aufnahm.

Überliefert ist, dass Zweig von den Vorwürfen, er habe sich dem Diktator angedient, sehr gekränkt war. Wahrscheinlich erkannte er selbst, dass er das Buch etwas zu vorschnell und zu romantisierend geschrieben hatte. Er entzog sich zunehmend dem gesellschaftlichen Leben. Die Ruhe, die er in Petropolis zum Schreiben gesucht und gefunden hatte, war ihm dann doch etwas zu ruhig.

Zweig war zwar Kosmopolit, sprach perfekt Französisch und leidlich Spanisch, aber kaum Portugiesisch, obwohl überliefert ist, dass er die Sprache zumindest verstand. So war der Schriftsteller zunehmend isoliert. Selbst wenn sich Vertreter der jüdischen Gemeinde in Petropolis rührend um den prominenten Gast kümmerten. Auch litt er darunter, dass er kaum Bücher nach Brasilien mitnehmen hatte können. Diese benötigte er aber insbesondere für seine historischen Schriften.

Tod im Paradies

Der Griff zum Gift hatte dann mehrere Gründe, meint der brasilianische Journalist Alberto Dines. Der 84-Jährige ist Autor der Biografie "Tod im Paradies - Die Tragödie des Stefan Zweig" und war federführend verantwortlich dafür, dass Zweigs letztes Wohnhaus zu einer Gedenkstätte ("Casa Stefan Zweig") umfunktioniert wurde. "Er hatte Depressionen, seine Frau litt an Asthma. Und das Klima hier kann sehr feucht sein."

Dann versenkten die Nazis ein brasilianisches Kriegsschiff: "Für Zweig war nun klar, dass Brasilien in den Krieg eintreten würde. Aber er war ein Pazifist und mehrmals vor dem Krieg geflohen. Er hatte auch Angst, dass es für ihn danach keine Zukunft mehr geben könnte. Der Suizid war auch ein Akt gegen den Krieg, gegen Hitler."

Stefan Zweig, so Dines, zog es vor, im 62. Lebensjahr seinen eigenen Frieden zu finden. Sein Grab liegt rund 20 Gehminuten von der letzten Wohnstätte entfernt am Friedhof von Petropolis. Neben ihm ruht Elisabeth Charlotte Zweig. Laut Autopsie dürfte sie rund fünf Stunden nach Stefan Selbstmord begangen haben. Lotte wurde nur 33 Jahre alt.

Der letzte Wohnort

Petropolis. Rua Goncalves Dias 34, am Rande des schmucken Stadtzentrums. Eine steile Treppe führt hinauf in die "Casa Stefan Zweig", wo der Autor auf der Flucht vor den Nazis und dem Zweiten Weltkrieg im brasilianischen Exil seine letzten Monate verbrachte, ehe er sich gemeinsam mit seiner zweiten Frau Lotte am 23. Februar 1942 das Leben nahm. Seit 2012 ist das kleine Haus eine Gedenkstätte.

Die Initiative dafür hatte bereits sechs Jahre zuvor der Journalist Alberto Dines ergriffen. Dines ist 84 Jahre alt und in Brasilien kein Unbekannter. Trotz seines betagten Alters bestreitet er jeden Mittwoch die TV-Talkshow "Observatorio de Imprensa" ("Observatorium der Presse"). Sein Interesse für Stefan Zweig sei einem zufälligen Kindheitserlebnis zu verdanken, erzählt er in einem Gespräch mit der APA.

Alberto wuchs in Petropolis auf und ging dort in eine "jiddische" Schule. "Als ich acht oder zehn Jahre alt war, ist Stefan Zweig auf Besuch gekommen. Es war ein großes Ereignis, weil er war damals sehr berühmt. Es wurden Fotos gemacht. Es hat bis in den Nachmittag gedauert und wir hatten keinen Unterricht. Das war wunderbar."

Wie Zweig war auch sein Herausgeber Jude, und dieser wollte ihm die jüdische Gemeinde in Petropolis näherbringen. Dines kannte Zweig freilich schon von zuhause. Sein Vater hatte ein Bild des Schriftstellers an der Wand hängen. "Mit einem Autogramm. Ich wusste also, dass der Mann sehr wichtig ist und gute Bücher geschrieben hat." Dann nahm Zweig Morphium. "Sein Selbstmord war ein Riesenthema in den Zeitungen. Mein Vater war bestürzt und hat auch seinen Sarg getragen."

Symbol für Frieden und Nostalgie

Als Teenager las Alberto Dines dann die meisten Werke Zweigs. "Für meine Generation war er ein Symbol für Frieden und Nostalgie, auch wegen seines Suizids." Zum 100. Geburtstag des Autors im Jahr 1981 schrieb Alberto Dines die Biografie "Tod im Paradies. Die Tragödie des Stefan Zweig", die seither mehrere überarbeitete Auflagen erlebte und auch ins Deutsche übersetzt wurde. "Ich hatte Zeit, weil ich gerade arbeitslos war." In Brasilien herrschte die Militärdiktatur, und Dines war wegen zu kritischer Kommentare von seiner Zeitung "Folha do Sao Paulo" gefeuert worden.

Jahre später reifte der Gedanke, Zweigs Wohnhaus in Petropolis, der in den Bergen über Rio de Janeiro gelegenen Sommerresidenz der brasilianischen Könige, als Gedenkstätte zu adaptieren. Es hatte über die Jahrzehnte mehrmals den Besitzer gewechselt und war zunehmend heruntergekommen. Nach jahrelangem Ringen um die Finanzierung sowie einem Infight mit der Bürokratie wurde das Projekt letztlich - auch mit offizieller Hilfe aus Deutschland und Österreich - in die Tat umgesetzt.

Das Resultat kann sich sehen lassen. Details wie Fensterläden oder Türschnallen sind noch im Original erhalten, sonst wurde das rund 100 Quadratmeter große Haus aber ausgehöhlt und zu einem modernen Schauraum mit Infoscreens, Videoinstallationen und interaktiven Computerinstallationen umgestaltet. Am Rande steht eine Pappfigur. Stefan Zweig in Lebensgröße. Mit verschmitztem Lächeln.

Land der Zukunft

Eine Dokumentation ist dem Buch "Brasilien. Land der Zukunft" gewidmet. Stefan Zweig wurde für dieses Werk heftig durchgebeutelt. Zwar war die mit großer Verve verfasste Beschreibung Brasiliens absolut lebendig, großteils zutreffend und bis heute gültig, doch idealisierte er seinen Zufluchtsort auch und ließ Komponenten wie Rassismus oder soziale Ungerechtigkeiten in einem allzu schönen, realitätsfernen Licht erscheinen. Besonders scharfe Zungen sagten Zweig nach, ein Auftragswerk für den damals regierenden Diktator Getulio Vargas verfasst oder dafür zumindest Geld kassiert zu haben.

Alberto Dines winkt ab: "Das ist Unsinn. Zweig war ein steinreicher Mann, er hat das Geld nicht gebraucht. Es hat ihn aber sehr geschmerzt, dass das so dargestellt wurde." Den Vorwurf der Naivität lässt der 81-Jährige freilich gelten, sieht aber nichts Negatives dabei: "Es braucht naive Menschen, um die Welt zu verbessern. Die Brasilianer haben Stefan Zweig einfach nicht verstanden. Er hat die brasilianische Gesellschaft so beschrieben, wie sie sein hätte sollen. Aber das haben die Menschen nicht kapiert."

Unterhalb der luftigen Veranda warten überdimensionale Könige, Damen, Türme und Rösser auf spielwillige Gäste. Ein Verweis darauf, dass Zweig hier seine "Schachnovelle" schrieb. Aber auch darauf, dass die "Casa Stefan Zweig" als Bildungsstätte fungieren soll. Die "Casa Stefan Zweig" arbeitet mit Schulen zusammen, damit die Kinder zum Beispiel Schachspielen lernen. So können sie spielerisch einen Zugang zu Stefan Zweig und seinem Werk gewinnen. "Schach war ja seine große Leidenschaft", meint ein Mitarbeiter in der Casa.

( S E R V I C E - Stefan Zweig: "Brasilien. Ein Land der Zukunft", Insel-Verlag, 312 Seiten, 10,30 Euro. ISBN 978-3-458-35908-1; Alberto Dines: "Tod im Paradies. Die Tragödie des Stefan Zweig", Aus dem Portugiesischen von Marlen Eckl. 724 Seiten, 30,80 Euro, Edition Büchergilde, ISBN 978-3-936428-64-3; http://www.casastefanzweig.org)