Vor zwei Jahren brachte die Uraufführung der Oper "El Juez" nicht nur Jose Carreras in der Titelpartie stürmische Kritiken ein. Auch jener Mann, der dem gefeierten Tenor die Rolle auf den Leib geschrieben hat, konnte durchwegs reüssieren: Christian Kolonovits führt bei dieser hochbrisanten Oper über Spaniens verlorene Kinder während des Franco-Regimes Klassik und Pop-Affinität zusammen.

Am Samstag (2. Juli) ist "El Juez" im Zuge der Zehnjahresfeier im Theater an der Wien erstmals in Wien zu sehen. Vor der Premiere sprach der 64-jährige Komponist mit der APA über Gemeinsamkeiten von E- und U-Musik, Herausforderungen beim Erarbeiten einer Oper sowie künftige Projekte.Vor der Premiere sprach der 64-jährige Komponist mit der APA über Gemeinsamkeiten von E- und U-Musik, Herausforderungen beim Erarbeiten einer Oper sowie künftige Projekte.

2014 wurde "El Juez" uraufgeführt. Ändert sich die Sicht eines Komponisten auf sein Werk im Laufe der Zeit?

Christian Kolonovits: Sie ändert sich grundlegend. Wir haben "El Juez" seit St. Petersburg (Anfang 2015, Anm.) nicht mehr aufgeführt. Man vergisst das Werk sozusagen und erfährt es dann ganz neu, wenn man es von einem neuen Orchester wieder interpretiert hört. Das ist eine wunderbare Sache. Man fragt sich: Das habe ich geschrieben? Ich habe erfahren, wie ich es wieder von einer ganz anderen Seite sehen kann. Man wird älter, hat zu einem Inhalt wieder eine andere Meinung oder festigt sie oder wirft sie über den Haufen. Es ist wunderschön, ein Werk abhängig von der jeweiligen Zeit wieder anders zu erfahren.

Wenn Sie an die Entstehung zurückdenken: War die Arbeit an der Oper eine große Herausforderung?

Kolonovits: Ja. Ich habe nach zweijähriger Arbeit bemerkt, dass wirklich die Luft draußen war. Ich hatte danach nichts mehr zu sagen, konnte nichts mehr schreiben. Die letzten Takte habe ich mir abgerungen. Was man so landläufig als Schmerz beim Komponieren definiert, hat zumindest am Schluss wirklich stattgefunden. Einerseits, weil der Inhalt ja nicht gerade lustig ist, und dann gehen einem irgendwann die Ideen aus. Ich habe mit meiner Kraft Haus halten müssen während dieser Zeit. Außerdem hatte ich einen Trick, um mich während des Schreibens an Carreras zu heften: Eine Partitur der "Tosca" lag immer am Klavier - das war mein Bezugspunkt zum großen Carreras. Sie hat mich wachgehalten und immer wieder zurückgebracht in seine Opernwelt.

Ihr Werk kennzeichnet ja die Verknüpfung von Klassik und popmusikalischen Anleihen. Worin liegt hier für Sie der Reiz?

Kolonovits: Damit befasse ich mich schon sehr lange. Die Außenwelt sagt ja, es gibt zwei Arten von Musik - nämlich E und U. Ich habe das nie so kennengelernt. Schon als Fünfjähriger habe ich E- und U-Musik gemacht, das war für mich dasselbe. Aber da diese Außenwelt partout darauf besteht, kämpfe ich mit großer Liebe und Inbrunst seit langer Zeit dagegen an - das auch sehr erfolgreich. Am spannendsten ist es, wenn das Orchester beide Welten zusammenführt. In Wien haben wir mit dem RSO ein unglaubliches Glück. Man kann nicht oft genug betonen, was dieses Orchester wirklich kann, nämlich so gut wie alle Genres!

Jose Carreras in der Titelrolle von "El Juez"
Jose Carreras in der Titelrolle von "El Juez" © APA/KUPFER KULTUR & MEDIA,EAI GM

Inhaltlich ist Ihre Oper stark politisch bzw. historisch konnotiert. Wie wichtig ist es aus Ihrer Sicht, dass sich Künstler auch solcher Themen annehmen?

Kolonovits: Diese Geschichte hat sich ja nicht nur in Spanien, sondern in so gut wie allen Diktaturen abgespielt und tut es noch. Es ist ein wichtiges Thema unserer Zeit: Statt Regimekritikern nur die Meinungen wegzunehmen, werden ihnen irgendwann die Kinder weggenommen. Das ist nach wie vor hochpolitisch und hochbrisant. Und jeder Künstler sollte so etwas in seinem Medium tun. Mein Medium sind an und für sich nicht die Worte, aber ihre Umsetzung in Musik. Ich glaube schon daran, dass wir alle eine Stimme haben oder haben sollten. Dass es wichtige Themen und Punkte gibt, wo es ans Eingemachte geht. Das sollte man höchst seriös und professionell behandeln. So wie "El Juez" für mich von Anfang an ein Thema war, wo ich mir dachte: Das werden wirklich zwei Blut- und Schweiß-Jahre, durch die ich durch muss.

Gibt es weitere Aufführungspläne für "El Juez" beziehungsweise aktuelle Projekte, an denen Sie arbeiten?

Kolonovits: Es gibt geheime Absprachen. (lacht) Ich darf darüber aber nicht sprechen. Ich persönlich wünsche mir natürlich, dass dieses Werk weiterlebt. Ansonsten arbeite ich an einer "BaRock-Oper" für die Volksoper Wien, "Vivaldi - Die fünfte Jahreszeit". Und dann komme ich natürlich immer wieder auf meine alte, gewohnte Arbeit im Studio zurück und produziere befreundete Künstler aus der Austropop-Zeit - derzeit etwa Gert Steinbäcker, der sozusagen das Erbe von STS weiterführen wird. Außerdem habe ich eine Idee für eine neue Oper. Aber eigentlich habe ich mein Leben immer so gestaltet, dass ich gewartet habe, wo es mich hinführt. Da bin ich sehr buddhistisch veranlagt und versuche, angstfrei in der Gegenwart zu leben.

INTERVIEW: CHRISTOPH GRIESSNER/APA