Frau Jürgens, treten wir eine kleine Zeitreise an: „Wenn Jenny und Jonny verreisen, was reden sie dann? Ich spiele auf ein Lied an, das Ihr Vater 1971 aufgenommen hat. Erinnern Sie sich noch daran?
JENNY JÜRGENS: Was sie reden? Ach du meine Güte, da war ich vier Jahre alt! Was reden Jenny und Jonny denn?

Sie reden "Kokolores"!
JÜRGENS: Ja, genau! Süß. Mit meinem Bruder kann ich sehr gut Kokolores machen. Das heißt Quatsch, Albernheiten. Das war eine Kinderplatte, die mein Vater damals aufgenommen hat. Was für ein wunderbares Wort – klingt wie ein schönes Gericht.
Springen wir vom Jahr 1971 ins Jahr 2014. Ein Jahr, das für Sie von Höhen und Tiefen geprägt war. Der Tod Ihres Vaters, ein halbes Jahr später haben Sie geheiratet, beruflich haben Sie für eine TV-Serie „Rote Rosen“ gepflückt.

Wenn Sie diesem Jahr eine Blume zuweisen könnten, welche Blume würde das sein?
JÜRGENS: Es wäre ein Kaktus mit ein paar Blüten drauf. Mein Mann ist die Blüte, meine Familie, das sind auch Blüten. Aber alles in allem betrachtet war das Jahr schon eher ein Kaktus.

Wie haben Sie dieses Jahr überlebt?
JÜRGENS: Na ja, überlebt ist mir zu pathetisch. Da gibt es Menschen, die viel schlimmere Schicksale erleiden. Und natürlich hatte ich immer Angst vor diesem Moment. Aber in Wahrheit kann man sich nicht darauf vorbereiten. Wenn es so weit ist, ist es eine Amputation.

Ihr Vater war 80 Jahre alt – und doch kam sein Tod überraschend.
JÜRGENS: Ich glaube, dass wir Kinder aufgrund dieser Kraft, die er hatte, vergessen haben, dass unser Vater sterblich ist. Wir haben das ausgeblendet. Vielleicht war das auch gut so. Mein Vater fand es nicht sehr angenehm, mit dem Altern konfrontiert zu werden. Aber das wurde er in den letzten Jahren natürlich, bei jedem Interview. Er hat das mit freundlicher Resignation wahrgenommen. Diese Zahl 80 ist ja etwas Mythisches. Seine Eltern sind ja auch mit 80 gestorben. Diese Zahl war für ihn eine riesige Hürde.

Glauben Sie, dass Udo Jürgens seinen Tod gespürt hat?
JÜRGENS: Ich glaube, dass er ahnte, dass das seine letzte große Tournee sein würde. Dadurch bekamen die Konzerte meines Vaters eine noch tiefere Emotionalität, vielleicht auch Sentimentalität. Ja, das schon. Aber, wie gesagt, ich glaube und hoffe nicht, dass mein Vater seinen Tod gespürt hat. Was er sehr wohl spürte, war die Zäsur, die diese 80 Lebensjahre bedeuten. Und natürlich war mein Vater bei dieser Tournee auch enorm unter Druck. Viele Menschen kamen ja zu den Konzerten und wollten sehen, wie das ein 80-jähriger Mann noch schafft.

Der Tod ereilte Ihren Vater während einer Tournee-Pause. Auf der Bühne hat er immer funktioniert, abseits davon nahm er sich die Zeit zum Sterben.
JÜRGENS: Viele Künstler sagen ja: „Ich möchte von der Bühne weg abtreten.“ Aber Papa hätte das nie gewollt, das hätte er ganz furchtbar gefunden. Man sucht ja im Nachhinein im Tod etwas Tröstliches. Das klingt jetzt natürlich furchtbar, aber ich glaube, dass Papa genau so gestorben ist, wie er sich das gewünscht hätte. Seine allergrößte Angst war ein langes Sterben. Er wollte nie ein Pflegefall werden, das eint uns ja alle. Insofern hatte mein Vater einen gnadenvollen Tod. Mein Vater war ja ein sehr ästhetischer Mensch, und wir Kinder haben oft darüber geredet: Mein Gott, wie hätte Papa darunter gelitten, jahrelang dahinzusiechen.

Beim Tod eines nahen Angehörigen durchläuft man verschiedene Stadien der Trauer. Wie haben Sie das im letzten Jahr erlebt?
JÜRGENS: Zuerst war da der Schock, trotzdem funktioniert man weiter. Dadurch, dass ich anfangs funktionieren musste, kam die Trauerphase erst später. Aber als es so weit war, habe ich diese Phase sehr bewusst durchlebt, weil ich wusste, wenn ich nicht heule wie ein Schlosshund, ist das ungesund. Was beim Tod eines so bekannten Menschen dazukommt, ist natürlich, dass man seine Trauer mit Tausenden teilen muss. Mein Vater hat allen ein wenig gehört. Das heißt, wir Kinder waren mit unserer Traurigkeit nie alleine.

Vom Funktionieren haben wir schon gesprochen. Welche Eigenschaften von Udo Jürgens stecken noch in Jenny Jürgens?
JÜRGENS: Ich glaube, ich bin eine ziemlich gute Mischung aus meinem Vater und meiner Mutter. Von ihr habe ich die Erdung, die Naturverbundenheit, auch die Treue. Von Papa habe ich ein hohes Maß an Zuverlässigkeit und Begeisterungsfähigkeit. Auch der Hang zu einer gewissen Intensität kommt von meinem Vater.

Ihr Lebensmittelpunkt ist jetzt Mallorca?
JÜRGENS: Ja, hier leben mein Mann und ich, in einer Finca in den Bergen mit Tieren und viel Natur. Ich will niemandem zu nahe treten, mit dem ich vorher mein Leben geteilt habe. Aber ich führe jetzt das Leben, das ich mir wünsche, und nicht, wie es sich andere für mich vorstellen. Was mir nach Papas Tod ganz stark bewusst wurde: Was am Ende übrig bleibt, sind Asche und verpackte Kartons.

Aber über den Inhalt der Kartons kann man zumindest teilweise selbst bestimmen.
JÜRGENS: Genau. Und das tue ich jetzt. Ich möchte mein Leben so führen, wie ich es für richtig halte, wie es mich glücklich macht. Ich gehe auf keine Events, ich kaufe mir keine Gucci-Taschen.

Spricht da wieder Ihr Vater aus Ihnen? Hätte er nicht auch gesagt: Tu das, was du liebst?
JÜRGENS: Da sprechen beide Elternteile aus mir. Mama und Papa haben immer gesagt: Verwirklicht eure Träume! Aber das ist auch ein riesiger Kraftakt; zumal für Kinder von prominenten Eltern, die immer unter Beobachtung stehen. Ich finde es als riesige Befreiung, dass sich dieser Mechanismus des Gefallenwollens immer mehr auflöst.

Wir kennen den öffentlichen Jürgens, wie war der Vater Udo?
JÜRGENS: Na ja, dass er nicht der klassische Super-Daddy war, darf ich sagen, weil er das selbst oft gesagt hat. Die Situation war die: Was bedeutet es, Udo Jürgens zu sein? Und wie bin ich neben diesem egomanen Wahnsinn, den ich betreiben muss, um überhaupt Udo Jürgens sein zu können, noch in der Lage, ein ganz normaler, alltäglicher Vater zu sein? Das ist schwer unter einen Hut zu bringen.

Ihr Vater hat in Gesprächen kurz vor seinem Tod immer wieder bedauert, dass er zu wenig geliebt habe in seinem Leben. War das so?
JÜRGENS: Ja, das kann gut sein, dass er sich nicht getraut hat, dem wahren Gefühl von Liebe so zu begegnen, wie es nötig wäre. Wenn man wirklich aufrichtig lieben will, bedeutet das, den Blick von sich selbst wegzuwenden. Und das kann ein Künstler naturgemäß schwer. Aber zurück zum Papa. Er mag kein klassischer Daddy gewesen sein, aber er war ein guter Vater. Den ich jeden einzelnen Tag vermisse.

Das vollständige Interview mit
Jenny Jürgens lesen Sie bitte in unserem
Magazin „Unvergessen“.

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