In den heimischen Theater-, Opern- und Konzerthäusern ist die Sommerpause zu Ende gegangen. Nahezu überall wird nun überlegt, wie man auf die dramatisch zugespitzte Flüchtlingskrise reagieren kann - auf und hinter der Bühne, künstlerisch wie praktisch. Spendenaktionen und Benefizabende werden geplant, Türen und Proben geöffnet.

Burgtheater-Direktorin Karin Bergmann und der Klagenfurter Stadttheater-Intendant Florian Scholz beantworten Fragen der Austria Presseagentur. Beide planen an ihren Häusern Veranstaltungen, in Klagenfurt wird bereits am Sonntag (6. 9.) die Flüchtlingsfrage diskutiert.

Die Fragen:

1) Wird sich die dramatische Flüchtlingssituation in den kommenden Wochen auf Ihr Programm bzw. die Pläne Ihres Hauses auswirken? In welcher Weise? Sind Benefizveranstaltungen geplant?

2) Soll Kunst überhaupt auf solche Entwicklungen reagieren - künstlerisch oder als Teil der Solidargemeinschaft?

3) Soll man versuchen, Flüchtlinge bzw. Asylwerber auch als Publikum zu gewinnen? Mit welchen konkreten Aktionen könnte dies gelingen?

Burgtheater-Direktorin Karin Bergmann:

1) "Die dramatische Zuspitzung der Flüchtlings- und Asylthematik war das erste Thema, das ich mit den Dramaturgen nach der Sommerpause besprochen habe. Wir haben in der vergangenen Spielzeit im Rahmen von Jelineks 'Die Schutzbefohlenen' 14.000 Euro für die Flüchtlingsprojekte der Caritas gesammelt und mit den Refugees und dem UNHCR Projekte durchgeführt und wollen solche Initiativen unbedingt fortsetzen.

Wir müssen deutlich aufzeigen, dass wir von der Begegnung mit anderen Kulturen profitieren, und werden dies konkret im Rahmen der 60 Jahr Feier im Oktober tun. Der Hintergrund ist: Vor 60 Jahren, am 14. Oktober 1955, wurde das im 2. Weltkrieg erheblich beschädigte und wiederaufgebaute Burgtheater feierlich eröffnet. Bei einem Festakt anlässlich des 50. Jahrestags 2005 hielt Navid Kermani, der im Juni 2015 mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde, eine Rede mit dem Titel 'Nach Europa'. Darin schilderte er seine Reise zu den Menschen, die nichts mehr besitzen, alles aufgegeben haben und vor den Toren Europas darauf warten, auf ihren Sehnsuchtskontinent zu gelangen. Der Sehnsuchtsort wird zusehends zur gated community, und Europa ist mehr und mehr davon entfernt, ein Hort europäischer Humanität zu sein. In den vergangenen zehn Jahren wurden das Mittelmeer und jetzt auch Europas Straßen zum Massengrab. Die Flüchtlingskatastrophe dividiert den Kontinent auseinander, statt Solidarität regieren Abschottung und Nationalismen.

Bei einer Erinnerung an die Wiedereröffnung des Burgtheaters vor 60 Jahren werden Ensemble und Direktion gemeinsam mit SchriftstellerInnen und BürgerInnen in diesem Sinne einen Appell an die "europäische Humanität" halten.

2) "Sie muss. Kunst reagiert ständig auf die Entwicklungen in unserer Gesellschaft, in vielfältigen Formen. Oft erkennt man erst retrospektiv, welche gesellschaftspolitischen Strömungen die Autoren beeinflusst haben. Der Dramatiker / die Dramatikerin arbeitet künstlerisch eher autonom, wir, die Theater und die Künstler, die hier arbeiten, setzen ihre Themen für die Gemeinschaft um. Auch in der Umsetzung geschieht wieder ein Aufgreifen aktueller Themen, je nach Interpretation des Künstlers - Antu Romero Nunes hat sich zum Beispiel im Sommer viel mit dem Thema Flucht beschäftigt und wird im Dezember mit dem Titel 'Hotel Europa' ein Projekt auf Grundlage von Josefs Roths 'Hotel Savoy' inszenieren. Das Burgtheater selber wird immer wieder direkt in tagespolitische Ereignisse involviert, manchmal aus Eigeninitiative, weil wir Stellung beziehen, manchmal aus Initiative von außen, erinnern Sie sich an die Studentenproteste vor einigen Jahren unter der schwarz-blauen Regierung."

3) "In der vergangenen Spielzeit haben wir im Rahmen von Jelineks 'Die Schutzbefohlenen' Mitglieder der Refugee-Bewegung auf die Vestibül-Bühne im Burgtheater geholt und in Kooperation mit dem UNHCR das Projekt 'Gimme Shelter' mit Flüchtlingen und Kindern mit Migrationshintergrund im Rahmen der jungen Burg erarbeitet. Um Flüchtlinge oder Asylwerber auch als Publikum zu gewinnen, müsste sich aber die Asylpolitik ändern: ohne zumindest temporäre Bürgerrechte wird es ihnen schwer fallen, an den kulturellen Angeboten einer Stadt teilzunehmen. Es geht ja nicht darum, Flüchtlinge als Masse mit thematisch passenden Sonderprogrammen isoliert anzusprechen. Es muss doch darum gehen, sie möglichst schnell in unsere Gesellschaft so zu integrieren, dass sie wieder individuell ihr Leben gestalten können. Vielleicht hat der Flüchtling aus Syrien einfach Lust, sich einen Shakespeare anzusehen. Den Weg dazu müssen wir ihm ermöglichen."

Florian Scholz, Intendant des Klagenfurter Stadttheaters:

Florian Scholz, Intendant des Klagenfurter Stadttheaters
Florian Scholz, Intendant des Klagenfurter Stadttheaters © Helmuth Weichselbraun

1) "Die fürchterlichen Ereignisse währen ja nun bereits längere Zeit. Schon letzten Herbst haben wir zu dieser Thematik eine Eigenproduktion herausgebracht, das Auftragswerk 'Lampedusa'. Um der ganz aktuellen dramatischen Zuspitzung der Lage zu begegnen, erschien es uns auch notwendig, nicht nur mit den Mitteln der Kunst darauf einzugehen, sondern das Theater als Ort des Gesprächs zu öffnen. Am 6. September findet eine Veranstaltung mit unserem Kärntner Landeshauptmann Dr. Peter Kaiser, Hilde Gaggl (Bürgermeisterin von Krumpendorf, wo eine Zeltstadt errichtet ist), Dietmar Tschudnig (Polizist / Innenministerium) und Hans Peter Premur (Seelsorger von Krumpendorf) im Stadttheater statt. In dieser als auch der kommenden Spielzeit wird es wieder Schauspielproduktionen geben, die sich mit diesem Thema sehr direkt befassen, wobei die großen Themen Mitmenschlichkeit und Empathie auch die Grundthemen der großen Theaterliteratur sind, und sich in vielen Bühnenwerken wiederfinden."

2) "Ja natürlich. Das Theater behandelt ja stets diese Themen, auch eine Antigone von Sophokles behandelt Fragen, die jetzt ganz dringend sind. Etwas, das uns grundsätzlich am Theater beschäftigt, ist immer, inwieweit das Theater überhaupt dem Schrecken der Realität gewachsen ist. Aber als Ort der Hoffnung muss das Theater immer weiter versuchen, etwas in unseren Gesellschaften, in unserer Welt, zum Guten zu wenden."

3) "Ich glaube, das Dringendste ist jetzt erstmal, dass Menschen nicht bei dem Versuch, ihr Leben zu retten, auf erbärmlichste Weise zu Grunde gehen. Dann, dass sie einen sicheren Platz erhalten. Die Betreuer des Zeltlagers in Krumpendorf haben sehr spontan mit den Bewohnern Aufführungen auf einer Freilichtbühne gestaltet, sie haben musiziert, getanzt, vorgetragen, das waren Momente der Freude und Schönheit inmitten des Chaos. Auch bei unserer letzten Produktion am Maria Saaler Tonhof kamen Asylwerber, die sich dort aufhalten, zu der einen oder anderen Aufführung. Unser Anliegen ist jetzt in einem ersten Schritt zunächst einmal, mit diesen Menschen in Kontakt zu kommen und herauszufinden, was sie wirklich brauchen. Wenn Theaterbesuche dazugehören, wird das sicher möglich sein."

WOLFGANG HUBER-LANG/APA