"Der Kopf, seine Last, hat mir den Rücken gekrümmt / und die Brust ausgehöhlt. Unaufdringlich / dafür muss man dankbar sein – bekommt der Bauch / die Rundung, wie ihn die Handbücher vorschreiben. / Beine und Hände trödeln und meckern, / und die Stimme macht Urlaub für immer, / eingeschüchtert von Argwohn und Fragen. / Nur die Augen halten ihre Tätigkeit / zu überwachen aufrecht..."

So entwirft Miquel Martí i Pol sein "Selbstbildnis mit sechzig Jahren". Ein lyrischer Blick auf eine harte Realität. Denn der katalanische Dichter, schon mit 19 Jahren schwer an Tuberkulose erkrankt und zu jahrelanger Bettruhe verdammt, seit dem 40. Lebensjahr als Frühpensionist im Rollstuhl, litt zu diesem Zeitpunkt an fortschreitender multipler Sklerose. Die Stimmbänder waren gelähmt, seine zweite Frau, Montserrat Sanser, las seine Worte von den Lippen ab. Und doch war Miquel Martí i Pol nicht zu überhören: mit seinen Gedichten.


In seinem Band "Buch der Einsamkeiten" schrieb er die Widmung: "Für Christina Serra und Pep Guardiola". Der Fußballtrainer hatte in den 90ern immer wieder Kontakt zu Martí i Pol gesucht, besuchte ihn im kleinen Pyrenäenstädtchen Rodas de Ter, um trotz erschwerter Kommunikation mit dem fast Stummen viel von ihm zu lernen: über die Versuchsstation Leben, über die Schönheit der Sprache und die ihr innewohnende Kraft und Phantasie, die Siege oft erst möglich macht. "Später sollte Pep Guardiola als Trainer von Barça mit ausgewählten Gedichten des Freundes Miquel Martí i Pol seine Spieler phantasievoll mental motivieren und auch öffentlich die Gedichte im Gedenken an den katalanischen Dichter vortragen", schreibt Tobias Burghardt im Nachwort des "Buchs der Einsamkeiten".

Volksdichter Miquel Martí i Pol (1929–2003)
Volksdichter Miquel Martí i Pol (1929–2003) © KK/Edition Delta

"Der Poet und der Spielmacher": Unter diesem Titel wirbt nun das Literaturhaus München für einen (längst ausverkauften) Abend am 30. Juni für den 2003 im Alter von 74 Jahren verstorbenen Martí i Pol mit Pep Guardiola, die eine "poetische Freundschaft" verband und vor allem auch die Sprache Kataloniens. Der 44-Jährige wird dessen Gedichte lesen, über die Bedeutung sprechen, die der "Poet der einfachen Leute" für ihn hat und wie er seinen Spielern in der Kabine einen Kick durch Lyrik gibt. Guardiola, seit Juni 2013 Trainer des FC Bayern, hat Gedichte Martí i Pols unter anderem auch vor mehreren tausend Zuschauern in Barcelona vorgetragen, begleitet vom Musiker und Liedermacher Lluis Llach, der während der Franco Diktatur ins Exil nach Paris gegangen war.

Auch Miquel Martí i Pol, aus einer einfachen Familie stammend und mit 14 schon Arbeiter in einer Textilfabrik, hatte unter dem faschistischen Regime Francos gelitten und war als Sozialist in den Untergrund gegangen. 1978, drei Jahre nach der Wiedererlangung der Demokratie, wurde in Osona eine Semana Popular unter dem bedeutungsvollen Motto „Ara és demà“ (Jetzt ist morgen) gefeiert, bei der Künstler wie Antoni Tàpies und Dichter wie Vicent Andrés Estellés, Pere Quart, Joan Brossa, Joan Vinyoli, Ramon Puyol und Xavier Bru de Sala sowie viele andere Martí i Pol würdigten.

Schon Martí i Pols erster Gedichtband "Paraules al vent“ war 1954 mit einem Preis ausgezeichnet worden, danach verfasste er weitere 30 Gedichtbände und einzelne Prosawerke. Außerdem übersetzte er französische Klassiker wie Gustave Flaubert, Guillaume Apollinaire, Emile Zola, Simone de Beauvoir oder Roland Barthes ins Katalanische. Sein dreibändiges Gesamtwerk – „L’arrel i l’escorça“, „El llarg viatge“, „Amb vidres a la sang“ – ließ ihn nicht nur zu einem der meistgelesenen, sondern auch meistgesungenen katalanischen Dichter werden. Wegen seines Interesses für soziale Themen stieg der vielfach ausgezeichnete Poet zum "Dichter des Volkes" auf. In den katalanischsprachigen Regionen Spaniens und im Kleinstaat Andorra hatten sich  400 Städte und Gemeinden dafür eingesetzt, den Dichter zum Kandidaten für den Literaturnobelpreis zu machen. 1999 zählte er tatsächlich zum engsten Favoritenkreis.

"Kann jemand sagen, ob der Wind unpünktlich weht? / Ob ,Liebe machen’ ein Euphemismus ist oder nicht? / Ob man die Versprechungen und Vereinbarungen hält? / Ob uns lauter Leben nicht das Leben kostet?“

„Martí i Pol schreibt wunderbar vom Leben, Träumen, Empfinden, besingt die erotische Liebe, stellt die menschlichsten Fragen und vermag kindlich zu staunen”, schwärmt der der Literaturkritiker Paul Ingendaay. Miquel Er ist auch nach seinem Tod „der populärste Dichter Kataloniens geblieben, zu dem er spätestens in den siebziger Jahren geworden war, als die wichtigsten Liedermacher der Nova Canço seine Gedichte vertont und gesungen hatten", schreibt Erich Hackl, "schlichte, zuversichtliche, menschenfreundliche Verse, trotz der multiplen Sklerose, an der Martí schließlich gestorben ist.“

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