Etliche Bürgermeister hätten Ihrem Bruder nur allzu gerne ein Ehrengrab gewidmet. Können Sie uns verraten, was den Ausschlag für Wien gegeben hat?

MANFRED BOCKELMANN: Dem Udo wurde vor einigen Jahren während eines Wien-Konzertes ein Ehrengrab angeboten. Das lief über seinen Manager Freddy Burger. Udo war zuerst nicht sehr erfreut. Aber wer ist das schon, wenn man mitten im Leben steht und bei jedem Konzert angehimmelt wird? Doch nach einiger Zeit sagte er: „Du Manfred, ich glaube, ich werde das Angebot annehmen.“ Seine Begründung war: „Damit mich meine Fans leichter finden.“ Er wollte seinem Publikum über den Tod hinaus nahe sein. Und Wien, wo er seine ersten größeren Erfolge hatte, ist ein guter Ort dafür. Am Zentralfriedhof hat er einen sehr schönen Platz bekommen, umgeben von lauter alten Spezln. Gleich in der Nähe liegen Gert Jonke, Franz West, Gert Voss oder Joe Zawinul. In Ottmanach oder Klagenfurt wäre er als Künstler wohl etwas einsamer gewesen.

Die Urne Ihres Bruders wird demnächst in einem Marmorklavier beigesetzt, das Sie gerade gemeinsam mit dem Wiener Bildhauer Hans Muhr nach eigenem Entwurf anfertigen. Wie kamen Sie auf diese sehr gegenständliche Konzeption?

BOCKELMANN: Die hat sich nach dem Tod von Udo aus der Frage heraus entwickelt: „Wie sollen die Gedenkfeiern möglichst unkompliziert und stimmungsvoll vonstattengehen?“ Ich habe vorgeschlagen: „Stellt’s einen Flügel hin und deckt’s ihn mit einem Tuch ab.“ Das Klavier ist ja eine Holzkiste, eine Art Sarg. So entstand die Idee zu einem Flügel aus Marmor, auf dem eine bronzene Rose liegt. Udo wollte ja nie unter der Erde liegen. Das hat mit kindlichen Angstträumen vom Verschüttetsein zu tun. Udo wird daher in der Mitte seines Instruments bestattet sein, umgeben vom härtesten Marmor der Welt, der ihn wie ein Engelsflügel beschützt und doch seinen Fans ganz nah sein lässt. Das ist, finde ich, ein sehr schönes Symbol.

Und äußerst eingängig...

BOCKELMANN: Ja, wie die Lieder von Udo. Wenn ich für mich ein Grab machen würde, dann hätte es wohl keinen gegenständlichen Bezug. Ich bin ja im Grunde ein abstrakter Künstler. Udos Sprache dagegen war klar und eindeutig. Seine Lieder besitzen eine große Bildhaftigkeit. Er spricht immer alles aus. Zum Beispiel in „Griechischer Wein“. Da sitzen Menschen mit dunklen Augen in einem Lokal. Und das Blut der Erde ist der Wein für ihn. Man hat sofort ein Bild im Kopf. Seine Sprache ist für alle soziale Schichten verständlich. Er wollte eben nicht nur eine Elite ansprechen. Das war sein großer Erfolg. Das Klavier ist ein Bild und die Rose ein Symbol für die Zuneigung seines Publikums.

Das Ausgangsmaterial für das Grabdenkmal soll ein weißer Marmorblock aus Südtirol sein.

BOCKELMANN: Ja, der Marmor wurde auf 2000 Meter Höhe gebrochen und ist unglaublich witterungsbeständig. Er ist schneeweiß und hat eine zarte Marmorierung. Udo hatte ja zwischendurch einen gläsernen Flügel, um die Düsterkeit dieses Instruments zu durchbrechen. Erst in den letzten Tourneen ist er wieder zum schwarzen Flügel zurückgekehrt. Ich wollte auf dem Friedhof ein positives Symbol für einen Musiker schaffen und auch für die Musik selbst. Daher das Schwebende des steinernen Klaviers, durch dessen Tuch ein Windhauch weht.

Sie haben zuletzt mit Ihrem Holocaust-Projekt „Zeichnen gegen das Vergessen“ für Aufsehen gesorgt. Eine Dokumentation darüber wurde erst letzte Woche beim New York Film Festival in drei Kategorien ausgezeichnet. Was sagte eigentlich Udo zu Ihren Darstellungen von kindlichen NS-Opfern?

BOCKELMANN: Udo kommt im Film sogar vor. Er hat die Ausstellung im Wiener Leopold-Museum zwei Stunden vor der Eröffnung besucht, damit er sich die Bilder ohne Medienrummel anschauen konnte. Und dann siehst du die totale Erschütterung in seinem Gesicht. Er hat zwar gewusst, ich mach’ da irgendein Projekt, aber er hat letztlich keine Ahnung gehabt. Er war unglaublich berührt.

Die Ausstellung war kurz nach Udos Tod auch im Berliner Bundestag zu sehen. Haben Sie seither an Ihrem Holocaust-Projekt weiterarbeiten können?

BOCKELMANN: Als Testamentsvollstrecker bin ich in den letzten drei Monaten zu keinem einzigen Bild mehr gekommen. Ich hoffe, das wird sich bald ändern. Meine letzte Arbeit zeigt einen Bootsflüchtling, der es zuerst nach Europa geschafft hatte, wieder zurückgeschickt wurde und es wieder probierte. Diesmal mit tödlichem Ausgang. Die Flüchtlingstragödien im Mittelmeer sind die heutige Herausforderung an die Menschlichkeit. Wir dürfen da nicht wegschauen.

Apropos Menschlichkeit: Ihr Bruder hat zu Lebzeiten eine Stiftung für Kinder in Not eingerichtet. Wurde auch diese testamentarisch bedacht?

BOCKELMANN: Ja, mit einem sehr namhaften Betrag. Er hat ja immer einen bestimmten Prozentsatz seines Einkommens gespendet. Damit sind Behinderten- und Waisenheime in der Ukraine, Südafrika oder Venezuela gebaut worden. Aber er hat auch junge Künstlerkollegen gefördert. Einem, er ist mittlerweile selbst berühmt und kommt ebenfalls aus Kärnten, hat er zum Beispiel einen Steinway geschenkt. Auch an diese Seite meines Bruders soll das Denkmal am Zentralfriedhof ein wenig erinnern.

INTERVIEW: ERWIN HIRTENFELDER