Superhelden verlangen einen Erzfeind: Sherlock Holmes stellt sich Moriarty, Frodo Beutlin ringt mit dem übermächtigen Sauron, Batman fürchtet das Grinsen des Jokers. Der Oberschurke ist die Antithese zum glänzenden Helden.
Der Gute wächst erst zu voller Stärke, wenn er ein böses Gegenüber hat. Lucky Luke kann sich auf die Gebrüder Joe, William, Jack und Averell Dalton verlassen. Doch was tun, wenn man mit seinem Erzfeind in eine gemeinsame WG zieht? Im neuen Lucky Luke-Heft „Meine Onkel, die Daltons“ werden die gefürchtetsten Verbrecher des Wilden Westens zu Patenonkeln – und der einsame Cowboy muss den Babysitter spielen. Das Zusammenleben mit den Daltons gestaltet sich turbulent bis harmonisch.


Vorbild für Junior


Dem Zeichner Hervé Darmenton alias Achdé sowie den Textern Laurent Gerra und Jacques Pessis sei Dank, dass Lucky Luke das Kunststück gelingt, mit der nötigen Distanz mit den Daltons gemeinsame Sache zu machen: Schließlich gilt es, den kleinen Emmett, den alle Junior nennen, zu einem vorbildlichen Bürger zu erziehen. Im neuen Band aus dem Hause Egmont Ehapa erweisen sich Achdé und Co. als würdige Nachfolger von Lucky Luke-Erfinder Morris (2001 verstorben) und seinem kongenialen Texter René Coscinny (1977 verstorben): Wenn in der „Highso City“ die „Baracke O’Bama“ auftaucht ist das genau das, was man sich erhofft: Einen liebevollen Comic bis in den zeichnerischen Hintergrund der Geschichte.
Auch für Übersetzer Klaus Jöken eine Herausforderung: Er sagt, dass die größte Schwierigkeit darin liegt, die „Balance zu finden zwischen einer männlich geprägten Cowboysprache und locker-lustigen Gags.“ Natürlich muss man auch erfinderisch sein: „Problematisch sind dabei Gags, die unübersetzbar sind.“ Im französischen Original spielt Lucky auf ein Kutschenverdeck im Kuh-Design an. „Es ist eine Limousine“, antwortet Notar Blanchini. „Im Französischen kann ,Limousine‘ ein Luxusauto bedeuten, aber auch eine bekannte Rinderrasse“, sagt Jöken. Die Übersetzung (siehe oben) ist gelungen und der Witz bleibt erhalten.
In „Meine Onkel, die Daltons“ darf Lucky Luke das von einer Comic-Figur verlangte stereotype Verhalten ausleben und gleichzeitig neue Seiten aufziehen: Wenn er versucht, dem in der Schule gemobbten Junior (er ist ja ein Dalton!) aufzumuntern, wird die Spannweite dieses Comics sichtbar: „Weißt du Junior, seinen Namen kann man zwar nicht ändern, seinen Ruf jedoch schon.“ Auch wenn am Ende so mancher Protagonist seinem Ruf mehr als gerecht wird: „I’m a poor lonesome cowboy . . .“

ANDREAS KANATSCHNIG