Nach der Welturaufführung bei den Filmfestspielen von Venedig und der österreichischen Erstaufführung bei der Viennale wird Alejandro González Iñárritus grandioser Backstagefilm, der gleichzeitig beißende Branchensatire, Psychodrama und Gesellschaftskritik ist, durch einen Auszeichnungsreigen geführt. Mit neun Nominierungen, darunter in den Kategorien Bester Film, Beste Regie und Bester Hauptdarsteller, gilt „Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)“ als klarer Oscar-Favorit. Mal sehen, was da wirklich kommt.

Comeback

Vor gut zwei Jahrzehnten war Riggan Thomson (Michael Keaton) ein großer Star am Kinohimmel: als Darsteller des Superhelden „Birdman“, wie Keaton einst als „Batman“. Nach der dritten Fortsetzung steigt er aus dem Erfolgsprojekt aus – und fällt auf die Nase. Kein Produzent will ihn für eine Rolle jenseits des Superheldengenres. „Birdman“ nistet sich im Hinterkopf des Schauspielers als „Über-Ich“ ein.
Jetzt, mit 60 plus, will er es noch einmal wissen. Er plant ein Comeback als Produzent, Regisseur und Schauspieler am Broadway. Ein paar Tage vor der Premiere steht das Projekt auf Messers Schneide. Das Produktionsbudget ist aufgebraucht, einem Hauptdarsteller donnert ein Scheinwerfer auf den Kopf.

Karrieregeil

Der Einspringer (Edward Norton, ebenfalls oscarnominiert) ist eine profilierungssüchtige Rampensau, die Ex-Frau (Amy Ryan) nervt, die Lebensgefährtin und weibliche Hauptdarstellerin (Andrea Riseborough) versucht, ihn mit einer (vorgetäuschten) Schwangerschaft zu erpressen. Und seine vom Drogenentzug zurückgekehrte Tochter (Emma Stone, oscarnominiert) baut ihn auch nicht auf: „Du bist ein Niemand, twitterst nicht und hast nicht einmal einen Facebook-Account.“ Die Wortmeldungen seines gefiederten Über-Ichs tun das Ihre. Und dann fällt auch noch eine Tür zu und sperrt Thomson aus dem Theater aus.

Eitelkeiten

Der Mexikaner Iñárritu (51) machte bisher mit Filmen auf sich aufmerksam, die von Komödien meilenweit entfernt sind. Darunter „Amores Perros“ über die Härten des Lebens in Mexiko-Stadt, „21 Gramm“ über die Präsenz des Todes im Leben, „Biutiful“ über ein Leben in prekären Verhältnissen (der Film war 2011 für den Oscar als bester fremdsprachiger Film nominiert). „Birdman“ ist eine Komödie, aber eine sehr bittere. Die Geschichte des Films legt die Eitelkeiten und Selbstsüchte sowie Verzweiflungen der Protagonisten bloß. Auch die Oberflächlichkeit einer Gesellschaft, die sich mithilfe der oben genannten Medien permanent selbstbespiegelt. Die Kamera von Emmanuel Lubezki (der im Vorjahr nach fünf Nominierungen mit einem Oscar für „Gravity“ ausgezeichnet wurde und nun erneut nominiert ist) bleibt stets ganz nah an den Protagonisten. Immer wieder entsteht der Eindruck, lange Sequenzen seien in einem Durchgang gefilmt (was sie nicht sind). Jedenfalls wird auf raffinierte Art und Weise eine ganz intime Sicht auf ein irrlichternd-chaotisches Treiben erzeugt.   Reinhold Reiterer