Sie spielen am 16. November in Graz. Wie läuft Ihre Tour bis jetzt?
ANNETT LOUISAN: Dieses Jahr hab' ich wirklich extrem viel gespielt. Das ist jetzt das i-Tüpfelchen, das Sahnehäubchen am Ende das Jahres. Es war sehr viel Information, es war wunderschön, mit vielen Erlebnissen.

Welche Erfahrung haben Sie mit dem österreichischen Publikum?
LOUISAN: Für mich ist Österreich fast ein bisschen wie Ferien, wie eine Klassenreise, weil man doch Gast ist und so weit weg von zu Hause. Das Publikum ist ein etwas anderes. Ich habe das Gefühl, gerade in Österreich haben die Leute extrem viel Verständnis für Chanson und handgemachte Musik.

Gibt es irgendein Konzert in Graz, das Ihnen bis heute im Kopf geblieben ist?
LOUISAN: Graz ist sowieso eine ganz wichtige Stadt. Ich habe einmal meinen Geburtstag hier gefeiert vor ein paar Jahren und habe mich mal verliebt in Graz.

In wen haben Sie sich verliebt?
LOUISAN: In meinen ehemaligen Lebensgefährten. Wir waren auch zusammen auf Tour und ich weiß noch, das war ein Abschlusskonzert in Graz und wir sind einfach noch ein paar Tage länger geblieben. Das war schon schön. Wie man sich eben fühlt, wenn man verliebt ist, mit rosaroter Brille.

Sie sind jetzt seit zehn Jahren auf Tour. Was hat sich seitdem geändert?
LOUISAN: Ich habe mich verändert. Zwischen 25 und 35 verändert sich sowieso sehr viel, also, von der Studentin, die Sängerin werden will, bis hin zu jemandem, der mittlerweile sehr viel Bühnenerfahrung sammeln konnte und so viele Menschen kennenlernen durfte. Ich habe in verschiedenen Städten gelebt und habe ein bisschen was auf dem Zettel, Positives, aber auch ein paar Schrammen abbekommen.

Nehmen Sie jetzt alles gelassener hin als früher?
LOUISAN: Ja, ich hoffe doch, manchmal ja, manchmal nein. Das Lampenfieber habe ich mittlerweile ganz gut im Griff, aber der Respekt vor der Bühne wird eigentlich immer größer. Man weiß, was passieren kann, aber auch, dass es dann wieder vorbeigeht. Man ist sich der Wichtigkeit und Unwichtigkeit des Lebens gleichermaßen bewusst. Das ist wahrscheinlich die Gelassenheit, alles ein wenig mit Humor zu betrachten.

Haben Sie schon einmal ans Aufhören gedacht?
LOUISAN: Ja, auf jeden Fall. Auch den tollsten Beruf muss man manchmal in Frage stellen. Ich bin sehr stolz auf Annett Louisan und auf das, was ich geleistet habe. Aber ich versuche, meine Selbstkritik nicht zu verlieren. Wenn man etwas liebt, muss man ein bisschen Abstand davon nehmen, um es wieder lieben zu können. Das ist ein Tanz, vor und zurück.

Du beziehst dich jetzt hauptsächlich auf das Persönliche, aber hängt das Aufhören wollen vielleicht auch mit der Musikindustrie zusammen, dass du dich gedrängt fühlst?
LOUISAN: Nein, Gott sei Dank nicht. Am Anfang meiner Karriere wollte ich Sängerin werden und auf die Bühne. Relativ schnell – nach dem großen Erfolg – habe ich mir etwas vorgenommen: dass ich nicht abhängig sein möchte von dem Erfolg. Deshalb habe ich versucht, mich davon freizumachen. Das war eine ganz gute Entscheidung. Verlustängste sind ganz abträglich für Kreativität.

Sie legen in Ihrer Musik oft einen Seelenstriptease hin. Haben Sie hierbei keine Angst, sich zu sehr zu öffnen?
LOUISAN: Ich empfinde das ganz anders. Für mich ist es überhaupt kein Seelenstriptease, denn ich bin eigentlich eher jemand, der einen gewissen Abstand hat zu dem, was ich da mache. Das sind nicht alles autobiografische Geschichten. In dem Moment, wenn es mir wehtut, kann ich gar nicht kreativ sein. Ich merke live oft, dass es den Leuten nahe geht, aber ihnen gehen ihre eigenen Erlebnisse nahe, nicht meine. Ich bin nur ein Transporteur für das, was ich in meinem Publikum auslösen möchte.

"Ich bin nur ein Transporteur für das, was ich in meinem Publikum auslösen möchte": Annett Louisan © SRF, Jim Rakete

Wer sind Sie dann auf der Bühne?
LOUISAN: Ich kann alles sein, was ich sein möchte. Diese Mischung zwischen Wahrheit und Fantasie, aus Untertriebenem und Untertriebenem, da verschwimmen die Grenzen total. Wenn ich eins zu eins nur über mein Leben singen würde, wäre das relativ langweilig.

Wie sieht es mit Ihrer neuen Single „Dein Ding“ aus. Gibt es da einen wahren Hintergrund?
Louisan: Das ist natürlich lustig gemeint, einen wahren Hintergrund gibt es da überhaupt nicht. Für mich sind solche Lieder wie „Zu viel Information“ oder „Ey, na du“ unheimlich wichtig, als Gegenpart zu den melancholischen Liedern. Ich könnte gar nicht so sehr in die Tiefe gehen und im Dreck wühlen, wenn ich die andere leichte Seite nicht hätte. Ich bin ja auch ein Albumkünstler, für sich genommen ist es immer sehr schwer, ein Lied von mir auseinander zu nehmen. Das soll Spaß machen und ein Schmunzeln hervorrufen.

INTERVIEW: GREGOR KRENKER