Am 31. Mai feiert sie ihren 85. Geburtstag. Gerade hat May in Österreich eine erfolgreiche Reise mit Lesungen aus ihrem 2002 erschienenen Erinnerungsbuch "Es wechseln die Zeiten" beendet. Jetzt ist eine kurze Pause angesagt. Ihren Geburtstag wollte die populäre Künstlerin in aller Ruhe verbringen, fern von großem Rummel, fern auch von ihrem Wohnort Berlin.

Chansons. Mit Chansonabenden, die vor allem durch Werke von Brecht, Weill und Eisler geprägt werden, feierte sie seit Jahrzehnten Triumphe, von der New Yorker Carnegie Hall bis zur Mailänder Scala. Immer wieder wird Gisela May mit Ovationen überschüttet. Sie hat im Laufe der Jahre unzählige Auszeichnungen im In- und Ausland erhalten, beispielsweise vom Verband der US-amerikanischen Theaterkritiker. Sie erhielt den Nationalpreis der DDR ebenso wie das Filmband in Gold der Bundesrepublik Deutschland.

Theater-Erfolge. Die wichtigste Bühnenrolle Gisela Mays war Brechts "Mutter Courage", die sie von 1978 bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Berliner Ensemble 1992 spielte. Neben Helene Weigel und Therese Giehse gilt sie als berühmteste Interpretin der Brecht-Figur. Bezeichnend für Mays Vielseitigkeit ist, dass sie neben klassischen Schauspielrollen immer auch die sogenannte leichte Muse pflegte. So feierte sie in den 1970er Jahren im (Ost-)Berliner Metropoltheater, dem heutigen Admiralspalast, einen Riesenerfolg als Hauptdarstellerin im Musical "Hallo, Dolly!".

Werdegang. Ihre musikalische Laufbahn begann 1957. Der Komponist Hanns Eisler ("Auferstanden aus Ruinen") erkannte das besondere Talent Gisela Mays für Chanson und die Möglichkeiten ihrer Stimme, die Kraft und Charisma, Empfinden und Eleganz miteinander verbindet. Mit eigenen Programmen tourt "die May", wie sie seit fast fünfzig Jahren genannt wird, seitdem durch die ganze Welt.

Respekt. Zu Zeiten der DDR wurde Gisela May vielfach als "Botschafterin des Chansons" tituliert, im Westen aber auch als "sozialistische Nachtigall". Seit 1972 Mitglied der Akademie der Künste Ost, hat sich May sicherlich stets staatskonform verhalten, jedoch nie angebiedert. Als ihr langjähriger Lebensgefährte, der systemkritische Philosoph Wolfgang Harich, in einen politischen Konflikt mit den Regierenden geriet, hielt sie zu ihm. Das brachte ihr weithin großen Respekt in den intellektuellen Kreisen der DDR ein.

Künstler-Familie. Die Lust an Sprache und Musik wurde der 1924 in Wetzlar geborenen Künstlerin schon in die Wiege gelegt. Ihre Mutter Käte war Schauspielerin, Vater Ferdinand May Schriftsteller. Nach dem Besuch der Leipziger Schauspielschule von 1942 bis 1944 hatte sie Engagements an verschiedenen Theatern. 1962 kam sie ans Berliner Ensemble, dem sie mehr als dreißig Jahre angehörte.

Kino. In den 50er und 60er Jahren gelegentlich mit Rollen in Kinofilmen der DEFA bedacht, gelang May nach der Wende eine Karriere als TV-Darstellerin. Populär wurde sie an der Seite von Evelyn Hamann in der von 1993 bis zum Tode Hamanns vor zwei Jahren laufenden Serie "Adelheid und ihre Mörder". Kultcharakter erreichte ein Dauerdialog zwischen Tochter Adelheid (Evelyn Hamann) und der von May verkörperten Mutter: "Sag doch nicht immer Muddi zu mir!" - "Ist recht, Muddi."

Auftritte. Ihr Alter scheinbar ignorierend, arbeitet Gisela May kontinuierlich als Lehrerin und tritt weiterhin selbst auf. Treffend schrieb die "Village Voice" (New York) erst vor einiger Zeit: "Ihre Energie lässt niemals nach." May selbst sagte einmal dazu: "Das Publikum heizt meine Energie an. Mir kommt soviel Zuneigung entgegen, dass ich durch meine Arbeit immer wieder neue Kraft gewinne."