Schriftsteller veröffentlichen Aufrufe in der Presse und starten Petitionen. Auch der türkische Literatur-Nobelpreisträger Orhan Pamuk hat gegen das Verfahren protestiert. Noch bis zuletzt hat Gürsel gehofft, das Gericht in Istanbul werde den am vergangenen Montag eröffneten Prozess gegen ihn und sein jüngstes Buch "Allahs Töchter" einstellen. Doch vergebens. Ihm drohen jetzt bis zu zwei Jahre Haft.

Tabus. "Ich hätte das wirklich nicht geglaubt. Das beweist, dass die Türkei immer noch nicht alle Tabus überwunden hat", sagt der 1951 in der Türkei geborene Autor der Deutschen Presse-Agentur dpa in Paris. Dort lebt Gürsel seit Anfang der 70er Jahre. Ob er zu seinem Prozesstermin am 26. Mai nach Istanbul reist, weiß er noch nicht.

Prozess. Seit dem Beginn des Prozesses steht das Telefon in seiner Pariser Wohnung im 13. Arrondissement nicht mehr still. Medienvertreter aus aller Welt bitten um Interviewtermine und Schriftstellerfreunde unterstützen ihn moralisch. "Mit einer solchen Solidaritätswelle hätte ich nicht gerechnet", erklärt der Autor, der als Forschungs-Direktor am Centre Nationale de la Recherche Scientifique (CNRS) arbeitet und seit Jahren an der Sorbonne türkische Literatur unterrichtet.

Roman. Sein nun so umstrittener Roman spielt im 7. Jahrhundert und hinterfragt den Glauben und die Gewalt im Islam - jedoch mit Respekt vor den Gläubigen, wie Gürsel betont.

Brief an Regierung. Sogar Marie-George Buffet, die Chefin der kommunistischen Partei Frankreichs, habe in einem Brief an die türkische Regierung geschrieben, dass in einer Republik das Delikt der Blasphemie keinen Platz mehr habe. In der französischen Tageszeitung "Le Monde" schrieb der französische Schriftsteller Marc Levy: "Ich hoffe aus tiefem Herzen, dass ihr Gericht diejenigen abweisen wird, die durch ihre Ignoranz die Meinungs- und Schreibfreiheit zu beeinträchtigen versuchen. Diese sind die Pfeiler einer würdevollen Demokratie."

Petition. Das Haus der Schriftsteller hat eine Petition gestartet und rund 17 Schriftsteller riefen in der Tageszeitung "Libération" im Namen der Meinungsfreiheit zur Einstellung des Verfahrens auf. Zu den Unterzeichnern gehören Frankreichs Intellektuelle und Schriftsteller Bernard Henri-Lévy, Edgar Morin, Erik Orsenna und der Nobelpreisträger für Literatur 2008, Jean-Marie Gustave le Clézio.

Neues Buch. Gürsel hat in Frankreich soeben das Sachbuch "La Turquie: une idée neuve en Europe" herausgegeben - ein Plädoyer für den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union. "Das könnte man Ironie des Schicksals nennen", meint der grauhaarige Autor mit den stechend blauen Augen. Er sei oft enttäuscht gewesen vom Misstrauen der Türkei ihm gegenüber. "Ich war wohl zu optimistisch", meint er nun resigniert, während er an einer Zigarre zieht. Nun habe er ernsthafte Befürchtungen, dass die Türkei in den Totalitarismus abgleite.

Zensur. Der Schriftsteller, der neben Yasar Kemal und Orhan Pamuk zu den wichtigsten Gegenwartsautoren der Türkei zählt, wurde in seinem Heimatland schon öfter zensuriert - vor allem in den 80er Jahren zur Zeit des Militärregimes. "Ich dachte, diese Zeiten seien vorbei", sagt er. Wenn die Türkei in die EU aufgenommen werden wolle, müsse sie die Meinungsfreiheit respektieren. "Wegen eines Romans Schriftsteller mit einer Gefängnisstrafe zu bedrohen, widerspricht dem Bild eines Landes, das in die EU will."