Nicht als dekadenter Luxuszug, sondern als rollendes Theaterlabor. Das vom Staatstheater Stuttgart aus organisierte Projekt "Orient-Express" startet am 14. Mai in der türkischen Hauptstadt Ankara. Ziel des umgebauten Eisenbahnwaggons ist Stuttgart: Bei einem Theaterfestival vom 9. bis 19. Juli sollen alle Stücke und Inszenierungen aufgeführt werden, die der "Orient-Express" während seiner Reise quasi aufgesammelt hat.

Ideen. "Es war eine dieser Ideen zu später Stunde", erinnert sich Projektleiter Christian Holtzhauer. Ursprünglich sollte der "Orient- Express" Spielzeit-Thema in Stuttgart werden, weil es entlang der Strecke soviel zu erzählen gebe. Etwa von Begegnungen zwischen Ost und West, von Reise, Vertreibung, Migration, Flucht und Ankunft, von Furcht und Hoffnung. Über die European Theatre Convention kam der Kontakt zum Türkischen Staatstheater zustande, das ohnehin gerade dabei war, einen alten Eisenbahnwaggon zur Bühne umzubauen.

Stilvolles Reisen. Dieser Waggon geht nun auf die Reise - entlang der Route des legendären Orient-Expresses, einst Synonym für stilvolles Reisen. Auf der knapp zweimonatigen Reise von Ankara nach Stuttgart macht er unter anderem Station in Istanbul (Türkei), Bukarest (Rumänien), Novi Sad (Serbien), Zagreb (Kroatien) und Ljubljana (Slowenien).

Stücke. Meistens sind es die Nationaltheater der jeweiligen Länder, die die Stücke liefern. Eine einmalige Aktion? "Wer weiß, vielleicht lernt das Projekt ja laufen", sagt Stuttgarts Intendant Hasko Weber.

Die Kosten - auch für die Nutzungsgebühren der Bahntrassen - teilen sich die Länder, berichtet Holtzhauer. Auf etwa 400.000 Euro schätzt er den Stuttgarter Beitrag, getragen unter anderem von der Kulturstiftung, dem Förderverein des Theaters und Mitteln aus dem Kunstministerium.

Programm. Zum Auftakt spielt das Türkische Staatstheater in Ankara das Stück "Ex-Press" von Mustafa und Övül Avkiran über eine Reise in einem Eisenbahnwaggon von Ost nach West. Der Beitrag des Schauspiels Stuttgart heißt "80 Tage, 80 Nächte" und stammt vom Autorenkollektiv Soeren Voima. Es beschreibt die abenteuerliche Reise eines in Rumänien produzierten Plagiat-Teddybären und eines Plüsch-Tigers - ebenfalls entlang der Route des Orient-Expresses.

Organisation. Im Laufe der Organisation des Ganzen habe er sich "von der deutschen Gründlichkeit ein Stück weit entfernt", sagt Holtzhauer. Ungeahnte Schwierigkeiten hätten sich etwa durch die unterschiedlichen Stromsysteme der Bahnnetze ergeben. Inzwischen sei ihm klar, dass es undenkbar ist, dass ein türkischer Lokführer quer durch Europa fährt, sagt Chefdramaturg Jörg Buchow. Mehrfach müssten Loks und Lotsen gewechselt werden. Dass sie für solche Fragen mal Experten würden, hatten die Theatermacher vorher auch nicht gedacht.