Arno Lustiger hat nie Abitur gemacht und nie eine Hochschule besucht. Dennoch ist der frühere Textilhändler, der am 7. Mai in Frankfurt 85 Jahre alt wird, zu einer akademischen Instanz für die Geschichte der Juden während des Holocausts geworden.

Schicksal. Es war das eigene unfassbar harte Schicksal, das bei Lustiger den Drang zum Historiker geweckt hat. Sechs Konzentrationslager und zwei Todesmärsche hat er überlebt. Er empfand es als persönliches Anliegen, die These zu widerlegen, dass sich die Juden in der Nazi-Zeit wie die sprichwörtlichen "Lämmer zur Schlachtbank" führen ließen. Erst nach einem Herzinfarkt in den 1980er Jahren fand der Autodidakt dann die Zeit für seine Recherchen.

Widerstand. In vielen Büchern hat Lustiger bewiesen, dass in den von Nazi-Deutschland besetzten Gebieten der jüdische Widerstand stark war. "Es gab beispielsweise tausende jüdische Partisanen im Osten", sagt Lustiger. Jetzt geht es ihm darum aufzuzeigen, dass den Juden während der Nazi-Vernichtungspolitik auch von vielen Nichtjuden geholfen wurde.

Mut. "Es ist viel zu wenig bekannt, dass es auch in Deutschland tausende Menschen gegeben hat, die dafür ihr eigenes Leben riskiert haben", sagt Lustiger. Noch weniger weiß man, dass auch in den besetzten Gebieten bis hin nach Tunesien die verfolgten Juden Unterstützung fanden. Der in vielen Ländern und Sprachen beheimatete Lustiger hat den Ehrgeiz, die erste Gesamtdarstellung über die Rettung von Juden im europäischen Rahmen vorzulegen.

Werdegang. Arno Lustiger wurde am 7. Mai 1924 im oberschlesischen Bedzin als Sohn eines Unternehmers geboren. Nach dem deutschen Einmarsch in Polen wurde er verhaftet. Er überstand mehrere Jahre Haft und Zwangsarbeit in sechs KZs, darunter in den Außenlagern von Auschwitz und Buchenwald. Zweimal wurde er zu einem der sogenannten Todesmärsche gezwungen, die Tausende von KZ-Häftlingen nicht überlebten.

Leben in Frankfurt. Nach dem Krieg blieb Lustiger, von dessen siebenköpfiger Familie fünf Mitglieder am Leben blieben, unfreiwillig in Frankfurt hängen. Seiner kranken Schwester und Mutter war die Einreise in die USA verweigert worden. In Frankfurt war er maßgeblich am Wiederaufbau der Jüdischen Gemeinde beteiligt, die einst nach Berlin die größte in Deutschland war.

Als "Außenseiter und Quereinsteiger" habe er es nicht leicht in der Wissenschaft gehabt, sagt Lustiger. Vier Semester lehrte er am Frankfurter Fritz-Bauer-Institut zur Erforschung des Holocausts. Danach erhielt er - vor zwei Jahren - vom Land Hessen den Titel des Professors.

Ausgewandert. Anders als der Vater kehrten die beiden Töchter Lustigers dem Nachkriegs-Deutschland den Rücken und gingen nach Israel und Frankreich. Dort lebte bis zu seinem Tod im August 2007 auch Arno Lustigers Cousin, Jean-Marie Lustiger. Dieser war früh zum Katholizismus übergetreten und wurde als Kardinal und Erzbischof von Paris zum prominentesten Würdenträger der französischen Kirche.

Romane. Lustigers ebenfalls in Paris lebende Tochter Gila ist als Schriftstellerin hervorgetreten. 2005 veröffentlichte sie den vielbeachteten Roman "So sind wir", eine jüdische Familiensaga, in der sie auch ihrem Vater ein Denkmal setzt. Dieser fühlt sich nach über 60 Jahren in Frankfurt gut verwurzelt. "Die Schweizer Straße in (Frankfurt)-Sachsenhausen ist mein Schtetl", scherzt er.

Neugierde aufs Leben. Arno Lustiger ist ein neugieriger und offener Mensch, der gerne unter Leuten ist. So hat er einst auch mit Oskar Schindler, dem Retter der "Schindler-Juden", ab und zu ein Bierchen getrunken. Schindler - verarmt und auf jüdische Hilfe angewiesen - lebte bis zu seinem Tod 1974 in Frankfurt. "Über die Nazi-Zeit wollte Schindler aber nicht reden", erzählt Lustiger.