"Ihr Kapital haben wir verfeuert. Es war sehr klein. Es hat nicht lang gebrannt", lautet die bedauernde Auskunft an die Kleinanleger. Doch plötzlich die Frohbotschaft: "Ihr Kapital lebt noch!" Es mache gerade Inselurlaub und habe es dort sehr schön. Nein, zurück will es leider nicht mehr, das müsse man schon verstehen. - Kein Zweifel: Elfriede Jelineks "Die Kontrakte des Kaufmanns. Eine Wirtschaftskomödie" ist das Stück der Stunde. Die Uraufführung wurde am Donnerstag im Schauspiel Köln lautstark bejubelt. Besuchern der vor einem Monat ebenfalls von Regisseur Nicolas Stemann eingerichteten Wiener "Ur-Lesung" kam manches bekannt vor.

Gruß. "Guten Abend, das ist jetzt die Ur-Aufführung", begrüßte Stemann das Publikum und berichtete vom intensiven Wiener Abend. Deshalb habe man "ein ähnliches Prinzip" angewendet, "keine Inszenierung im herkömmlichen Sinne erarbeitet", sondern eine "Textumsetzungsmaschine" installiert. Man habe im Gegensatz zu Wien einige Seiten gestrichen, allerdings habe die Autorin ihrerseits einige neue Seiten ergänzt. Auf dem digitalen Seiten-Countdown am Bühnenrand prangte daher die Zahl "99" (um sechs mehr als in Wien). Stemann, lächelnd: "Ein Glücksfall, denn unser Display hat nur zwei Stellen..."

Bühnenfantasien. Der Regisseur, der sich in seinen bisherigen vier Jelinek-Inszenierungen bei den Bildfindungen bisweilen durchaus radikal vom Text entfernte, ordnet diesmal seine Bühnenfantasie dem mäandrierenden Sprachfluss nahezu sklavisch unter. Dass auch die Schauspieler sich meist nicht nur ans Manuskript halten, sondern sich auch an diesem festhalten, stört bald gar nicht mehr. Zu viel ist auf der von Katrin Nottrodt sparsam ausgestatteten Bühne los, zu intensiv sind Stimmungs- und Situationswechsel, als dass sich - wenige Redundanzen ausgenommen - Langeweile einstellen könnte.

Kulisse. Auf Leuchtschrift-Bändern laufen die Ein-Jahres-Performances von DAX- und ATX-Werten. Chöre und Musikeinlagen, die vom Klavier- zum Gitarre-Solo, vom Rock bis zum Chanson reichen, zeigen die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten, die Jelineks Texte bieten (Stemanns Falco-Persiflage wird diesmal um etwas Kölsch ergänzt), Zeitungsausschnitte und Werbeprospekte werden projiziert, es gibt Flippchart-Slapstick, Riesen-Seifenblasen, Spielzeugeisenbahn und Maskenspiele. Statt Meinl-Mohr-Masken werden nun wienerisch synchronisierte Wirtschafts-Yuppies vorgeführt, schließlich hat das deutsche Publikum wohl genug Mühe, die noch immer verbliebenen zahlreichen Anspielungen auf BAWAG und Meinl-Skandal zu dechiffrieren. Klar wird jedoch: Der Mechanismus bleibt der gleiche, und gerade die von Jelinek aktuell ergänzten Texte, bei denen ein kurzer revolutionärer Impuls verpufft und schließlich in die private Tragödie kippt, sind so global wie die Krise selbst.

Der Weg des Geldes. "Ich verstehe nichts von Wirtschaft oder nicht viel, aber gerade das ist mir reizvoll erschienen, denn ganz offensichtlich versteht die Masse der Geschädigten, die ihr Geld verloren hat, auch nicht viel mehr davon", sagt Elfriede Jelinek. Sie hat ihre Methode, Sprache, Sprachbilder und Redewendungen unter die Lupe zu nehmen, zu verbiegen, zu schütteln, aufzubrechen, um zu sehen, welcher Bewusstseins-Kern sich in ihr verbirgt, auf jene Terminologie angewendet, die Kapitalismus und Neoliberalismus mit Macht in unseren Alltag gepflanzt haben.

Manager, Klagen, Unsicherheit. Wenn dabei Erlös und Erlöser ganz nahe zueinander kommen, das Kapital logischerweise nicht zurückfließen kann, weil "alles, was fließen kann, immer bergab fließt", die Manager auf Klagen der Anleger ihrerseits mit Klagen drohen, oder offen proklamiert wird: "Ihre Unsicherheit ist unsere Sicherheit!" - dann zeigt Jelineks Methode spielend die Fragwürdigkeit eines auf absurden Heils- bzw. Profitversprechen beruhenden Systems auf. Immer wieder gibt es solche bösen, scharfen Pointen, die so manchem Zuschauer wohl direkt ins Fleisch schneiden. Die Taschenspielertricks, mit denen Zuschauern Geld aus der Tasche gezaubert wird, bräuchte es da gar nicht mehr. Aber auch sie erinnern schmerzhaft daran, dass ehemals mit Fachbegriffen verklärte und mystifizierte Wirtschaftskonstruktionen im Gerichtssaal mittlerweile schlicht Kartenhäuser oder Pyramidenspiele genannt werden.

Spielregeln des Abends. Auf die Spielregeln des Abends ließ sich das Kölner Publikum ohne Murren ein. In den dreieinhalb pausenlosen Stunden konnte man sich jederzeit in die Foyers begeben und Getränke holen. Eine echte Abwanderung setzt jedoch nie ein, die überwiegende Mehrheit des Publikums goutierte das Experiment, das sich zwischen Konzert und Lesung, Performance und Installation nicht so recht einordnen ließ.

Eingreiftruppe. Aus diesem Abend könnte sich noch viel mehr entwickeln: Stemann träumt bereits von einer schnellen theatralen Eingreiftruppe und davon, "dass Jelinek morgens etwas schreibt, was ich dann am Abend probiere und jede Woche machen wir eine neue Premiere. Wir hätten dann also gewissermaßen eine Sublimationsmaschine, die die Herausforderungen des Tagesgeschehens aufgreift und nahezu in Echtzeit in Kunst verwandeln kann." Beiden, Regisseur wie Autorin, ist eine Realisierung eines solchen Vorhabens durchaus zuzutrauen. Unabhängig von den prognostizierten Gewinnchancen.