Wäre Jesus nicht verraten, ausgeliefert und ans Kreuz genagelt worden, sondern friedlich als alter Mann gestorben - wer würde ihn dann heute kennen? Diese und ähnliche Gedanken beschäftigen den Judas-Darsteller Alfred, der sich für die Endproben der Passionsspiele extra Urlaub genommen hat, in der Erzählung "Und hieb ihm das rechte Ohr ab". Nicht nur diese Geschichte macht den gleichnamigen Erzählband von Clemens Berger zur passenden nach-österlichen Lektüre. Am Donnerstag liest der in Wien lebende Burgenländer in der Wiener Alten Schmiede aus seinem neuen Buch.

Verstrickungen. Unternimmt Laienschauspieler Alfred vergeblich größte Anstrengungen, den eigenen Verstrickungen in Verrat und Versuchung zu entgehen, die seine Beschäftigung mit Kreuzestod und Auferstehung nach sich zieht, so ist es in dem Text "Eine schwere Geburt" die wahrhaftige Annäherung der Malerin Iris an Christi Geburt, die für einen veritablen Skandal sorgt. Ihre Suche nach dem "wahrsten" und gleichzeitig "revolutionärsten" Bild, das sich zwar auf der Höhe der Zeit befinden, gleichzeitig aber der Malweise der Alten Meister bedienen soll, kulminiert in einem Altarbild, das der zur Christmette versammelten Gemeinde am Weihnachtsabend die Menschwerdung Christi anatomisch detailliert vor Augen führt.

Romane. Doch das Ziel Clemens Bergers, von dem bisher u.a. zwei Romane ("Paul Beers Beweis" und "Die Wettesser") erschienen sind, ist keineswegs die literarische Hinterfragung des Neuen Testaments. Dazu sind die in dem neuen Band zusammengefassten fünf Erzählungen wohl auch nicht ausreichend. Zwei weitere Texte, in denen der studierte Philosoph Berger aus dem Wissenschafts-Betrieb plaudert und wechselvolle Spielarten der Liebe hehre philosophische Studien und exakt vorgeplante akademische Karrieren hintertreiben lässt, zeigen, worum es ihm wohl eher geht: die Brüchigkeit versteinerter Systeme angesichts der Vehemenz und Vielfarbigkeit aufzuzeigen, die das Abenteuer eigenen Denkens und Erlebens bereithält.

Handlung. Nicht immer folgt man der Beweisführung atemlos, und eine Rom-Romanze mit einer Cherelle genannten angehenden Philosophie-Professorin entwickelt sich mit allzu reichlichen Beigaben von Herz und Schmerz, doch die Hellhörigkeit und Eigenständigkeit, die er propagiert, wendet Berger ansonsten auch in seinen weitgehend überzeugenden, ambitionierten Texten an. Am Ende stolpert der Dandy-Philosoph Albin, der ein Seminar über Philosophie im Computer-Zeitalter hält, ausgerechnet darüber, die Spielregeln der Chatrooms und das realen Lebens nicht auseinander halten zu können. In einem Buch, das Ölberg und Cyberspace, Jesus und Slavoj Zizek unaufdringlich verbindet, ist das eine hübsche, böse Schlusspointe.