Selten hat ein so sanfter Mensch so heftige Reaktionen ausgelöst. Mit seinem schneeweißen Bart, den freundlichen Augen und der tiefen Stimme wirkte Nicholson Baker beim Kölner Literaturfestival Lit.Cologne wie Santa Claus beim nachsaisonalen Europabesuch. Doch für sein Buch "Menschenrauch" wurde Baker in den USA geradezu angefeindet, und in Deutschland sprach Daniel Kehlmann immerhin von einem "Buch für die Feinde der Demokratie". Der Vorwurf lautet, Baker betreibe eine moralische Gleichsetzung von Churchill mit Hitler. Bei der Lit.Cologne füllte Baker gleich ein ganzes Opernhaus.

Collage. "Menschenrauch" ist eine nicht fiktionale Collage von Momentaufnahmen - Zitate aus Reden, Tagebüchern, Sitzungsprotokollen oder Briefen. Am Anfang steht die Erwartung Alfred Nobels aus dem Jahr 1892, die Welt durch die Erfindung des Dynamits auf ewig befriedet zu haben. Es würden ja kaum zwei Armeen so wahnsinnig sein, sich binnen Sekunden gegenseitig in die Luft zu sprengen. 600 Seiten später schließt Baker mit Eintragungen vom 31. Dezember 1941, als Churchill kampfeslustig auf das neue Jahr anstößt und von westlichen Reportern als Retter der Zivilisation gefeiert wird.

Einspruch. Und eben da erhebt Baker Einspruch. Churchill, so seine Überzeugung, war ein "blutrünstiger Mensch", der, gerade an der Macht, erst einmal alle Deutschen im Königreich internieren ließ, obwohl 80 Prozent davon jüdische Flüchtlinge waren.

Diskussion. Als Bakers Diskussionspartner in Köln war ursprünglich der britische Historiker Timothy Garton Ash vorgesehen, der jedoch wegen Krankheit absagen musste. An seiner Stelle kam der Politikwissenschaftler Heribert Münkler, auf der Leipziger Buchmesse soeben als bester Sachbuchautor ausgezeichnet. Der eloquente Professor, der komplizierteste Schachtelsätze ohne Luftholen zu Ende führen kann, lobte den Literaten Baker für seinen unbefangenen, frischen Blick auf das schon so oft Erzählte.

"Naiv". Er stellte aber auch klar, dass er Bakers Vorstellungen von einem Verhandlungsfrieden mit Hitler für reichlich naiv hält: "Um einen Hitler zu bezwingen, brauchte man einen solchen Bluthund (wie Churchill)." Sein Vorgänger Neville Chamberlain, von Hitler als schwächlicher "Regenschirmträger" verspottet, war ja zuvor eben daran gescheitert, dass er glaubte, mit dem Diktator verhandeln zu können.

Opfer. Unwidersprochen blieb Bakers an diesem Abend gleich zweimal geäußerte These, der Krieg habe, auch durch Zutun der Alliierten, den schlimmstmöglichen Verlauf mit der denkbar höchsten Opferzahl genommen. Gerade ein Schriftsteller müsste doch genug Fantasie haben, um sich auszumalen, wie viele Opfer ein triumphierender Hitler auf Dauer noch gefordert haben könnte.

Kriege. Doch "Menschenrauch" ist wohl auch vor dem Hintergrund der jüngsten amerikanischen Kriege zu lesen. George W. Bush hat Churchill in geradezu penetranter Wiederholung als sein politisches Vorbild bezeichnet und zum Kronzeugen für die Notwendigkeit "gerechter Kriege" herangezogen. Der Pazifist Baker will den Leser in der Überzeugung erschüttern, dass manche Kriege eben doch geführt werden müssen. Er betrachtet die Dinge mit einem - wie er selbst sagt - "naiven", ja "kindlichen" Blick und erkennt überall nur maschinelle Vernichtung, Barbarei und schlimmste Verrohung. Dem Vorwurf, er vernachlässige in sträflicher Weise den zum richtigen Verständnis nötigen Kontext, entgegnete er in Köln mit dem Hinweis, dieser Kontext sei doch wohl zur Genüge bekannt: "Mein Buch ist als Ergänzung zu den Büchern der richtigen Historiker gedacht."