Milan Kundera ist ein schweigsamer Mensch. Seit der vielleicht berühmteste lebende Schriftsteller mit tschechischen Wurzeln 1975 nach Paris emigriert war, hat er Journalisten aus seiner alten Heimat nicht ein einziges Interview gegeben. Wenn er nach Tschechien reist, dann steigt er unter falschem Namen in Hotels ab. Die Tschechen legten Kundera sein Verhalten stets als Kauzigkeit aus. Womöglich hat die Verschlossenheit des Schriftstellers mit einem Ereignis zu tun, das 58 Jahre zurückliegt und das jetzt die Leute in Kunderas früherer Heimat schockiert.

Anzeige erstattet. "Am 14. März 1950, um 16 Uhr, kam der Student Milan Kundera, geboren am 1. 4. 1929 in Brünn, wohnhaft im Studentenwohnheim in Prag 7, in die hiesige Abteilung, um eine Anzeige zu erstatten", heißt es in der Polizei-Akte mit dem Aktenzeichen 624/1950-II, die kürzlich durch einen Zufall gefunden wurde. Jahrelang lag die Akte, die am Montag von der Wochenzeitung "Respekt" veröffentlicht wurde, inmitten dicker verstaubter Stapel.

Angeschwärzt. Kundera schwärzte den damals 22-jährigen Miroslav Dvoracek an, der 1949 nach Westdeutschland geflüchtet war. Unter USAufsicht wurde Dvoracek von tschechischen Instrukteuren, unter ihnen Kriegshelden, die an der Seite der Alliierten gegen Hitler gekämpft hatten, als Kurier ausgebildet. Dvoracek gehörte zu den "Zu Fuß"-Agenten, antikommunistischen Widerständlern, die geheimes Material aus der kommunistischen Tschechoslowakei über die Grenze in den Westen schmuggelten.

Grenzübershreitung. Am 13. März 1950 überschritt Dvoracek die Grenze zur Tschechoslowakei und traf in Prag zufällig die Studentin Iva Militka, die mit ihrem Freund und späteren Ehemann Miroslav Dlask in einem Studentenwohnheim lebte. Dvoracek und Militka kannten sich von früher. Er bat die nach eigenen Worten sehr naive junge Frau, einen Koffer bei ihr deponieren zu dürfen. Als er erneut in das Studentenwohnheim kam, wurde er am Eingang von zwei bewaffneten Polizisten erwartet. Er kam für 22 Jahre in Haft, 14 davon musste er als Zwangsarbeiter in einer Uranmine verbüßen.