Im "Vorspiel auf dem Theater" zu "Faust I" lässt Goethe einen Theaterdirektor zu Wort kommen. Die Worte, die am Samstagabend Burgtheater-Direktor Matthias Hartmann an das "hochverehrte Publikum" richtete, stehen jedoch in keinem Textbuch. Er erzählte vom Beinbruch des Mephisto Gert Voss und davon, dass ein Einspringen in diese Rolle nichts sei, "worum sich ein Schauspieler reißen würde". Dennoch habe sich Joachim Meyerhoff dankenswerter Weise bereiterklärt, den Part ersatzweise zu übernehmen, weshalb man heute "eine echte Premiere" erlebe.

Man könne sich jedoch vorstellen, "dass die Nerven blank liegen". Man benötige daher "Ihr Wohlwollen", sagte Hartmann: "Wenn Sie die Souffleuse hören, ist das ein Beweis für die Lebendigkeit des Theaters." Die Souffleuse war nie zu hören, das Wohlwollen dafür deutlich spürbar. Am Ende gab es viel Jubel für die Schauspieler, vor allem aber für einen sichtlich erleichterten "Einspringer", der eine fabelhafte Vorstellung geboten hatte.

Nervosität

Bis auf eine gewisse Nervosität deutet nichts darauf hin, dass dieser Mephisto ein Neuling in der Inszenierung ist. Joachim Meyerhoff, der am Burgtheater in der vergangenen Saison bei einem Gastspiel des Hamburger Schauspielhauses in einer Inszenierung von Jan Bosse bereits als Mephisto zu sehen war, ist so textsicher und präsent, wie man es sich nur wünschen kann. Er liefert in keiner Phase den Versuch, als Voss-Ersatz Platzhalter zu sein und die Inszenierung quasi im Leerlauf in Bewegung zu halten, bis das Original genesen ist und zurückkehren kann, sondern füllt die entstandene Leerstelle mit eigenem, pulsierendem Leben und Charisma. Eine Leistung, mit der sich Meyerhoff neuerlich als einer der bemerkenswertesten Schauspieler der Gegenwart beweist.

Naturgemäß sieht das Zentrum von "Faust - Der Tragödie erster Teil" nun anders aus: Während Voss ein alternder, charmanter, gelegentlich kindisch-schalkhafter Verführer ist, der es noch immer kann, ist Meyerhoff ein viriler, bedrohlich wirkender, beweglicher, animalischer Fürst der Finsternis, mehr Tier als Clown, mehr Vampir als Entertainer. Die Pudel-Nummer, mit der Voss entzückte, macht er ganz anders - und ebenso großartig. Das Verhältnis zu dem wesentlich ruhigeren, speziell in den Gretchen-Szenen stets gehemmt wirkenden Faust (Tobias Moretti) erhält so einen anderen Charakter - keine beginnende Männerfreundschaft zwischen sehr unterschiedlich alten Spielkameraden, sondern eine Janusköpfigkeit, die besonders beim Teufelspakt verblüffende Effekte erzielt: Faust und Mephisto sind beide glatzköpfig, gleich alt und von ähnlicher Statur. Es wirkt, als ob sich Fausts Spiegelbild verselbstständigt, seine dunkle, verdrängte Seite die Oberhand gewonnen hätte.

Von zwei Seiten lässt sich nun auch über diesen "Faust I" urteilen: Das Wiener Publikum hat in dieser Saison die wohl einmalige Gelegenheit, dieselbe Inszenierung mit zwei sehr unterschiedlichen Hauptrollen-Interpretationen geboten zu bekommen, von denen keine besser oder schlechter, jede aber überaus sehenswert ist. Auf der anderen Seite macht gerade dieser fulminante Wechsel bei vollem Lauf deutlich, wie sehr Matthias Hartmanns Inszenierung von den beiden Protagonisten bestimmt wird. Die Balance des Gesamtgefüges wird durch den Wechsel kaum verändert. Für die Feinabstimmung war schon vor den Turbulenzen zu wenig Zeit geblieben.