Regisseur Michael Thalheimer hat Mozarts Singspiel an der Staatsoper Unter den Linden auf ein Figurentheater im Bunker reduziert. Bei der Premiere am Sonntagabend konnte sich nur ein Teil des Publikums mit der kargen Kost anfreunden - dem erfolgsverwöhnten Regisseur schallten neben Applaus bei seiner dritten Opernarbeit auch heftige Buhrufe entgegen. Ungeteilten Applaus bekamen das Solistenensemble und das Orchester (Leitung: Philippe Jordan).

Verfremdung. Nichts finden die Zuschauer an diesem Abend, was sie sonst von Mozarts Kassenschlager erwarten. Während an der benachbarten Komischen Oper noch immer die "Entführung" des spanischen Regisseurs Calixto Bieito als deftig-erotisches Theater mit großem Erfolg läuft, begnügt sich Thalheimer mit der Sparversion. Weder Zelte unter Palmen noch Paläste oder gar Männer in Turban: Diese Geschichte könnte sich überall abspielen - oder nirgendwo. Thalheimer lässt die Figuren im Niemandsland agieren, was bei dieser von historischer Deutung beladenen Oper als wohltuend oder als anstrengend empfunden werden kann.

Mozarts Zugang. Mozart (1756-1791) und sein Librettist Johann Gottlieb Stephanie hatten sich in der "Entführung" unterhaltsam mit der Kultur der Fremden auseinandergesetzt. Noch eine Generation vor Mozarts Geburt lagen die Türken vor Wien, das Osmanische Reich fing vor den Toren der Stadt an. In seine "Türkenoper" baute Mozart die Janitscharenklänge ein. Die Musik der osmanischen Krieger war damals schwer in Mode. Und auch Entführungsgeschichten gehörten zum festen Theaterrepertoire der Zeit. Die Neugierde an der orientalischen Welt wurde hier mit den Gedanken der Aufklärung verbunden.

Radikale Eingriffe. Thalheimer interessiert das alles nicht. Er sucht wie in seinen Theaterproduktionen die radikale Verknappung. Ab und zu lässt er die Sänger in ihrer Muttersprache fluchen und damit andeuten, dass menschliche Kommunikation eben eine schwierige Sache ist. Den mitschwingenden Gefühlen traut der Regisseur nicht.

Handlung. Dabei hat die Geschichte über den Raub der jungen Spanierin Konstanze und ihrer Zofe Blonde (Anna Prohaska) samt Bräutigam Pedrillo (Florian Hoffmann) keine Verständnishürden. Die Dinge liegen offen: Konstanzes Verlobter Belmonte macht sich auf, die junge Frau aus dem Serail zu retten. Er trifft auf Bassa Selims Haremsaufpasser Osmin (Maurizio Muraro), der ihm den Zugang in den Palast zunächst verwehrt. Belmonte gibt sich als Baumeister aus und verschafft sich Eintritt. Nun trifft er auf Konstanze und buhlt zwei Stunden lang um ihre Liebe. Am Ende gewährt Herrscher Bassa Selim (Sven Lehmann) im Geiste der Toleranz beiden Paaren die Freiheit.

Bühnenbild. Meterweit entfernt stehen in der Lindenoper die Liebenden auf der Bühne, würdigen sich keines Blickes. Das schwarze Bühnenquadrat (Bühnenbild: Olaf Altmann) ist in zwei Teile geteilt, von dem meistens nur einer zu sehen ist, zuweilen auch beide. Mal schreitet Konstanze wie eine Schlafwandlerin durch die obere Hälfte, mal sprintet Zofe Blonde durch den Unterteil.

Darsteller. Herrscher Bassa Selim, der sich vergeblich um Konstanze bemüht und sie schließlich in die Freiheit ziehen lässt, leiert in seiner Sprechrolle Thalheimers neu geschriebenen Text herunter. Es sind der Italiener Maurizio Muraro als durchtriebener Osmin und Anna Prohaska als durchgeknalltes Girlie Blonde, die dem Stück Spiellust beisteuern. Christine Schäfer hat hörbar Mühe, den dramatischen Timbre ihres Soprans zu bewahren, während Pavol Breslik mit seinem warmen Tenor die Stimme des Abends ist.