Zu viel Kunst, zu wenig Architektur? Diese Frage wird heftig diskutiert bei der 12. Architektur-Biennale, die gestern ihre Pforten für Medien und Aussteller öffnete. Sofern man akkreditiert war, kontrolliert wurde unüblich streng. Selbst Pritzker-Preisträger hatten ihre liebe Not: "Ja, jetzt bin ich im Gelände", erzählte ein sichtlich genervter Hans Hollein jemandem am Handy, "aber es war sehr mühsam. Ich war nicht auf der Liste." Im Katalog ist er sehr wohl, Hollein zählt zu den Ausstellern.

Aber zurück zur Eingangsfrage. Kazuyo Sejima, weibliche Hälfte des japanischen Architekturduos Sanaa und für das diesjährige Programm zuständig, gab die Parole "People meet in architecture" aus - "Menschen begegnen einander in Architektur". Und formulierte den schwer fassbaren Begriff der "Atmosphäre" als einen ihr besonders wichtigen Aspekt gebauter Wirklichkeiten.

Atmosphäre wird in der Tat reichlich geboten. Im Arsenal erwartet den Besucher gleich vom Start weg eine grandiose Abfolge von Räumen, die jeder Kunst-Biennale zur Ehre gereichen würde: Smiljan Radic und Marcela Correa machen eine Zeichnung von David Hockney zu einem wuchtigen Monument für die Opfer des jüngsten chilenischen Erdbebens. Der Südtiroler Walter Niedermayr zeigt Fotos persischer Architektur nach der islamischen Revolution von 1979. Olafur Eliasson führt mit Wasser und Stroboskoplicht vor, dass er am besten ist, wenn die eingesetzten Mittel (vergleichsweise) einfach sind. Von Janet Cardiff und John Bures Miller wurde deren mittlerweile klassische Arbeit "The Forty Part Motet" ausgewählt, eine stets aufs Neue faszinierende Rauminstallation mit dem Klang von Thomas Tallis "Spem in Alium" (1573). Raum-Kunst im weiteren Sinn also. Architektur im sehr weiten Sinn.

Simse und Enten

Auch am zweiten Hauptschauplatz der Weltarchitektur-Schau, in den Giardini, spielt Atmosphäre eine wichtige Rolle. Im zentralen Pavillon stößt man auf Werke u. a. von Cerith Wyn Evans, Thomas Demand, Fiona Tan. Im deutschen Pavillon wird mit roten Tapeten und roten Sesseln eine unschwülstige Atmosphäre der entspannten Art erzeugt. Ein Rahmen für kleine Skizzen, nicht nur von Architekten. Cartoonist Tex Rubinwitz macht sich so Gedanken über Simse, das Grazer Splitterwerk behauptet "I am a duck".

Mark Blaschitz von Splitterwerk ist mit dem mit Stuttgarter Studenten entwickelten "Tiger von Venedig" auch im Österreich-Pavillon dabei. Der streift hinter Baugerüsten herum, die den 1934 nach Plänen von Josef Hoffmann errichteten Bau umgeben, denn dort heißt es: "Austria Under Construction".

Eric Owen Moss, dem ersten nicht-österreichischen Kommissär, geht es "nicht um nationalen Chauvinismus, der niemanden interessiert, sondern um einen substanziellen Austausch von Ideen". Bundesministerin Claudia Schmied stellte den 66-jährigen Architekten aus Los Angeles gestern in Venedig denn auch als "Garanten für Weltoffenheit vor, für den zur steten Erneuerung der Baukunst immer auch der Diskurs gehört".

"Österreicher, die im Ausland lehren". "Internationale Architekten, die in Österreich lehren", "Österreichische Architekten, die im Ausland bauen", "Internationale Architekten, die in Österreich bauen": So sind die 64 Positionen im Pavillon beschrieben. Die Beiträge der beiden Letztgenannten - etwa von Coop Himmelb(l)au, Atelier Hollein bzw. Zaha Hadid, Matteo Thun - sind auf Planen an der Fassade und auf einem Alu-Skelett im Inneren des Josef-Hoffmann-Baus wenig attraktiv platziert. Die Modelle diverser Lehrveranstaltungen fügen sich immerhin zu einem anregenden Sammelsurium, das - von einem fachkundigen Besucher treffend und keineswegs abwertend analysiert - "zeigt, wie Studenten heute herumwurschteln". Recht beeindruckend.