Auf rote Tragtaschen stößt man in Venedig derzeit sehr oft. "Free Ai Weiwei" liest man darauf. Das Kunsthaus Bregenz macht damit auf eine Online-Petition zur Freilassung des systemkritischen chinesischen Künstlers aufmerksam. Auch rote Karten sind verbreitet, auf ihnen die Behauptung "Speech Matters", Reden ist wichtig.

Ein Hinweis auf den Beitrag Dänemarks zur 54. Kunstbiennale, ein vielschichtiges, von achtzehn internationalen Künstlerinnen und Künstlern vorgetragenes Manifest zum Thema Redefreiheit. Eine Plattform, die unverzüglich von venezianischen Anti-Atomaktivisten und Gegnern einer diskutierten Privatisierung des Wassers genutzt wurde.

Gemischte Gefühle

Gleich gegenüber lädt Thomas Hirschhorn in den Schweizer Pavillon. In ein Höhlensystem mit Kristallen aus Abfallmaterial wie Blechdosen. In Grotten mit medialen Auswucherungen, in eine Welt, in der Reichtum und Glamour, kriminelle und politische Gewalt innig verschmelzen. Immer wieder wird die lokale Höhle zur globalen Hölle.

Starke, auf unterschiedlichste Art politisch unterlegte Eindrücke ermöglichen die Beiträge der USA (Allora & Calzadilla), von Polen (Yael Bartana), Frankreich (Christian Boltanski), Ägypten (Ahmed Basiony). Mit höchst zwiespältigen Gefühlen verlässt man den Kirchenraum, in den der deutsche Pavillon zur posthumen Feier von Christoph Schlingensief umgewandelt wurde.

Gegen die Länderpavillons fallen die von der diesjährigen Biennale-Chefin Bice Curiger im Hauptpavillon und im Arsenale kuratierten Präsentationen deutlich ab. Fotografische und filmische Beiträge machen den stärksten Eindruck (Yto Barrada, Birdhead, Omer Fast, Dani Gal, David Goldblatt, Jack Goldstein, Christian Marclay, Nathaniel Mellors, Dayanita Singh).

"Kunstbasar"

Nach wie vor faszinierend: Gianni Colombos "Spazio elastico", der erstmals für Trigon '67 in Graz realisiert wurde. Colombos Arbeit steht für eine ganze Reihe von Kunst aus den 1960er- und 1970er-Jahren, auf die man quer durch die Biennale immer wieder stößt. Und die den Eindruck untermauert, dass in dieser Ära ein ungeheurer Aufbruch stattfand, von dessen Experimenten und Erfahrungen heute nicht wenige junge Künstler angeregt werden.

Im Padiglione Italia ist Vittorio Sgarbis schon im Vorfeld in Italien heftig diskutierter "Kunstbasar" ("La Repubblica") eingerichtet. Der schillernde Berlusconi-Freund hatte Intellektuelle wie Umberto Eco, Claudio Magris und Giorgio Agamben gebeten, die Auswahl zu treffen, um der, wie er meint, "Kunstmafia" ein Schnippchen zu schlagen. Werke von 260 Künstlern (darunter Jannis Kounellis und Michelangelo Pistoletto) formieren sich zur in der Tat unübersichtlichen Materialschlacht. Durch die Sgarbi (im Wissen um sein Image stets von knackigen Blondinen begleitet) mit sichtlicher Lust an der Provokation wuselt.

Pathos und Komik

Und Österreich? Markus Schinwald ist ein stimmiges Statement zwischen architektonischem Eingriff und der Präsentation von Bildern, Objekten und Filmen gelungen. Eine kluge, nicht zu labyrinthische Inszenierung zwischen Pathos und Komik, Psychoanalyse und Slapstick.

Ein anderes, um die Themen (österreichische) Psyche und Raum kreisendes Projekt hat gute Chancen, zum meistfotografierten Beitrag der venezianischen Kunstsaison zu werden: Erwin Wurms "Narrow House". Das in der Längsachse auf ein Sechstel seiner Größe gepresste, begehbare Elternhaus des Künstlers steht direkt bei der Akademiebrücke am Canal Grande. Kontrast zum wuchtigen Palazzo Cavalli Franchetti daneben. Als Teil von "Glasstress", eines von rund drei Dutzend Kollateral-Events der Biennale.