Das Werk aus dem Jahr 2009 steht in der beliebten, zeitgenössischen Tradition des Zitierens, Zerstückelns und Neuinterpretierens. So bezieht sich "Pavlova 3'23" auf Michel Fokines berühmte, circa dreiminütige Choreografie vom Todeskampf eines grazilen Schwans, welche Anna Pawlowa anlässlich ihrer Ehrung zur "Primaballerina Assoluta" in St. Petersburg im Jahr 1907 tanzte.

Nie sehen wir das komplette Solo. Stattdessen blitzen unentwegt Fragmente auf. Jung-Ae Kim erzählt etwa auf Koreanisch von der Uraufführung. Aufgrund ihrer prägnanten Körpersprache werden einzelne Bewegungen aus dem Solo wie nebenbei sichtbar. Ein Tänzer zeigt ausschließlich heftige Flügelschläge, eine Tänzerin markiert nur die Trippelschrittchen auf der Spitze. Besonders gelungen ist die Strategie der Aussparung, wenn die Musik von Camille Saint-Saëns ertönt und sich auf leerer Bühne gemächlich, zwei seitliche (!) Vorhänge senken. Ein ironisches Sinnbild für die Verschiebungen der Betrachtungsperspektive, die jedem Kunstwerk im Laufe der Zeit widerfährt.

Zyklisch unterbricht Monnier die solistischen Sequenzen mit spielerischen Gruppenformationen. Alle scheinen der Regel zu folgen: Wer stirbt am kreativsten "on stage"? Unglaublich wie raffiniert das wendige, neunköpfige Ensemble sich aufbäumt, spastisch zuckt, zittert, einknickt, zusammensackt und regungslos am Boden liegt. Die heitere Atmosphäre verliert sich jedoch zusehends in Düsternis. Während Anna Pawlowa noch ästhetisch und vergleichsweise rasch sterben durfte, endet das 70-minütige "Pavlova 3'23" mit einem Song von Rodolphe Burger über das Grauen des Weiterlebens.