Wenn André Heller nervös ist (und das ist er vor Premieren immer), kuriert er das durch Leutseligkeit: Also trat er Dienstagabend in München erst einmal im Zeltpalast vor den Vorhang, dankte den rund zweieinhalbtausend "Geburtshelfern" seiner neuen Show fürs Kommen und gab dann mit idiomatischem Lokalkolorit die Devise aus: "Pack ma's!"

Nicht ganz unerwartet brach danach ein Gewitter an Bildern, Tönen, Szenen, Anblicken und Kunststücken los, das die Geburtshelfer zwei Stunden später mit stehendem Applaus und Jubelrufen quittieren sollten.

Rote Wangen

Der große Vorträumer hat es offenbar wieder einmal geschafft, den Rest der Welt in seine ganz persönlichen Paradiese blicken zu lassen. Wenn Sportlegenden wie Willi Bogner, Großdenker wie Hans Magnus Enzensberger, Ex-Minister wie Rudolf Scholten, Autorinnen wie Christine Grän und Erika Pluhar, Kochgenies wie Eckhart Witzigmann, Quoten-Queens wie Carolin Reiber, Prinzen wie Leopold von Bayern und alle anderen vor Begeisterung rote Wangen bekommen haben, ist die Übung wohl gelungen.

André Hellers großes Talent ist der Verzauberung des Erwartbaren ins Bestaunenswürdige. Der in Großereignissen erfahrene deutsche Produzent Marcel Avram hat das wohl gewusst, als er rund 15 Millionen Euro einsetzte, um "Magnifico" zu realisieren.

Wenn etwa eine Clownfrau zehn Meter über Grund ohne ersichtliches Seil kopfüber hängend Stepp tanzt oder ein Jongleur fünf Löffel gleichzeitig in fünf Tassen expediert, ginge das auch ohne ihn als ganz große Nummer durch.

Wenn dann aber seidene Quallen und Seepferdchen durch die Luft fliegen, das sterbende Pferd aus Picassos "Guernica" explodiert, die Kreuzspinne Adelheid jodelt, zauberhafte Schattenspiele den Betrachter fesseln, eine lebensgroße Kamelfigur zum Radetzkymarsch tanzt, wenn Roland Topor und Salvador Dalí und andere historische Figuren der Kunstgeschichte zitiert werden, wenn "Der dumme Todesaugust irrtümlich Herrn Lennons Walross auf die Bühne bittet"..., dann ist das Heller pur.

Multimedial

Allein die Kostüme und Figuren von Michael Curry ("König der Löwen"), das Lichtdesign von Patrick Woodroffe (Rolling Stones, Tina Turner u. a.) und die Darbietungen der New Yorker Tanzkompanie Pilobolus würden schon reichen, um den Abend zur Attraktion zu machen. Dazu kommen noch multimediale Elemente und Projektionen, die Heller erstmals massiv, aber auch sehr gezielt einsetzt.

Ja, und die Pferde: 21 Hengste und Wallache sind mit von der Partie, die wenigsten von ihnen werden übrigens geritten, keiner wird zu wesenswidrigen Kunststücken und Verrenkungen angetrieben, keine Peitsche knallt.

Depressiv

Mit ihren Trainern (oder sollte man sagen: ihren Flüsterern?) vollführen die Tiere so spielerische Tänze, dass man den Eindruck gewinnt, sie hätten noch mehr Spaß an der Sache als das Publikum. Im Vergleich zu ihnen wirken die Lipizzaner wie depressive Arbeitssklaven.

Als "fantastische Premiere" bejubelte die ansonsten nicht hochemotionale Süddeutsche Zeitung bereits gestern den Abend. Bis Mitte März haben die Münchner Gelegenheit, das nachzuprüfen. Dann wandert "Magnifico" über Hamburg, Zürich, Frankfurt und andere Städte nach Wien, wo Anfang November Premiere sein wird.