Hätte das irgendwer noch vor zwei Wochen gedacht?
Dass Conchita Wurst den Song Contest gewinnt? Wer die internationale Berichterstattung über die Sängerin verfolgt hat, bekam wohl einen Eindruck des rasant wachsenden öffentlichen Interesses, das der bärtigen Sängerin medial widerfuhr.

Rückblickend lässt sich feststellen, dass der Anstoß dafür aus Osteuropa kam: Homophobe Äußerungen von Moderatoren und anderen TV-Persönlichkeiten, die Forderung nach Zensur ihres TV-Auftritts verschafften Conchita Wurst erst das, was man im aktuellen Mediensprech "Momentum" nennt: einen Aufmerksamkeitsimpuls, der weit über den Song Contest hinausragte. Und den die bärtige Performerin rechtzeitig und geschickt zu nutzen wusste, indem sie ihr Auftreten mit einer Botschaft auflud, die leicht zu verstehen und anzunehmen war: "Es ist wurst, wer man ist und wie man aussieht."
So wurde sie zur schillernden Verkörperung von Toleranz – perfekt für ein Medienereignis wie die Eurovision.

Dabei taten sich auch bei uns viele schwer mit der Drag Queen aus Bad Mitterndorf. Die schillernde Persönlichkeit, die gängige Geschlechterrollen sprengt, sorgt auch in Österreich und Westeuropa für einige Irritation.
Und doch. Letztlich war es wohl die konsequente Umsetzung einer Kunstfigur, die in Kopenhagen für die große Sensation sorgte. 48 Jahre nach Udo Jürgens hat eine Österreicherin den Song Contest gewonnen. Dass unter der Perücke ein junger Mann steckt: egal.

Botschaft von Toleranz und Weitherzigkeit

Was den Sieg so großartig macht, ist der Umstand, dass ein Bewerb, das viele zu Recht als hohles Spektakel kritisieren, diesmal die Botschaft von Toleranz und Weitherzigkeit transportiert. Insofern ist es auch ein tatsächlich ein Sieg für Conchita Wurz und ihren Erfinder Tom Neuwirth. Der Song selbst, "Rise Like a Phoenix", makellos vorgetragen, spielt da fast nur eine Nebenrolle.
So professionell, wie der 25 Jahre alte Tom Neuwirth die Figur verkörpert hat, wird uns das Phänomen Conchita Wurst wohl noch länger begleiten.
Für den ORF ist dieser Sieg nicht nur ein Segen. Der gebeutelte Sender, der zuletzt enorme Sparmaßnahmen bewältigen musste, soll nun auch das nächste Megaevent der Eurovision schultern.

Billig wird das nicht: Die Kosten der Veranstaltung lagen in Kopenhagen bei rund 25 Millionen Euro. Drunter wird es kaum gehen. Das größte Musikspektakel der Welt wird von 125 Millionen Sehern verfolgt, rund 2000 Journalisten reisen üblicherweise an. Immerhin: Nicht alles, was an Kosten anfällt, muss der Sender tragen.
Und die Touristiker in Wien, wo der Event wohl ausgetragen wird, werden sich freuen: Die Umwegrentabilität einer solchen Veranstaltung ist wohl enorm hoch.
Dennoch werden die ORF-Manager Conchitas Sieg nun wohl mit gemischten Gefühlen feiern. Den Fans des Bewerbs ist das gleich – sie dürfen sich auf den Song Contest in Österreich freuen.