"Libération" kann es also doch noch. Sartres Erben haben das Zupacken, das Zubeißen nicht verlernt. Allein, die Freude des Zeitungslesers ist getrübt. Was ihn bei der Lektüre in Bann zieht, kündet vom letzten Aufbäumen der finanziell ausgebluteten "Libé", wie die Franzosen das vom Existenzialphilosophen Jean-Paul Sartre im Februar 1973 mitgegründete, politisch links stehende Blatt nennen. Redaktion und Aktionäre liefern einander einen in der Zeitung ausführlich dokumentierten Schaukampf. War es in früheren, zumeist in Hinterzimmern ausgetragenen Scharmützeln allein darum gegangen, Auflagen- und Anzeigenschwund durch Sparmaßnahmen wettzumachen, steht nun die Existenz der Tageszeitung auf dem Spiel.

Große Pläne

Die Anteilseigner wollen unter dem Markennamen "Libération" ein "soziales Netzwerk" schaffen, das "auf vielen Kanälen kostenpflichtige Inhalte" anbietet. Aus dem Sitz der Zeitung im avantgardistischen Pariser Stadtviertel "Marais" solle ein "Kultur- und Konferenzzentrum werden mit Studios für Radio und Fernsehen, Newsroom, Restaurant, Bar und einem Raum zur Förderung von Start-up-Unternehmen", verkündeten die Eigentümer. Das Papierprodukt "Libération" sei fortan am Stadtrand zu erstellen und zwar von einer schlechter bezahlten, durch Vorruhestandsregelungen und Teilzeitarbeit ausgedünnten Belegschaft.

Die Antwort der Redaktion prangte tags darauf in fetten Lettern auf der Titelseite: "Wir sind eine Zeitung, kein Restaurant, kein soziales Netzwerk, kein Kulturzentrum, kein Fernsehstudio, keine Bar". Das Ansinnen der Hauptaktionäre, des Bankiers Edouard de Rothschild und des Immobilienbesitzers Bruno Ledoux, sei "eine Beleidigung", erfuhr der Leser. Die Redaktion hat Anwälte eingeschaltet. Sie geht davon aus, dass die Anteilseigner den Betriebsrat widerrechtlich übergangen haben und obendrein nicht befugt sind, den historischen Markennamen und das Logo "Libération" derart "zweckentfremdet" einzusetzen. "Was nützt ein gutes Restaurant, wenn wir keine gute Zeitung mehr haben?", fragt Chefredakteur Fabrice Rousselot die Leser in der Leitartikelspalte. Der von der Redaktion abgelehnte Zeitungsdirektor Nicolas Demorand ist entnervt zurückgetreten.

Dass beide Seiten noch gütlich zueinanderfinden, scheint schwer vorstellbar. Bruno Ledoux hat die Redaktion in einer an die Öffentlichkeit gedrungenen Mail als "ewig gestrig und von kümmerlichem Geiste" geschmäht und potenzielle neue Investoren vor dem Einstieg gewarnt. "Ein in 'Libération' gesteckter Euro ist ein verlorener Euro", ließ Ledoux wissen. Im vergangenen Jahr hatte das Blatt den Besitzern bei einem Umsatz von 55 Millionen Euro eine Million Euro Verlust beschert. Die Gesamtschulden belaufen sich zurzeit auf 6,4 Millionen Euro. Dass der Staat die allen französischen Zeitungen gewährten Subventionen im Fall von "Libération" vorzeitig ausgezahlt hat, konnte den finanziellen Niedergang nicht aufhalten.

Keine zwei Jahre zuvor hatte noch ein ganz anderer Wind durch die Pariser Redaktionsstuben geweht. Im Mai 2012 war der Sozialist Francois Hollande als Nachfolger des rechtsbürgerlichen Präsidenten Nicolas Sarkozy in den Elysée-Palast eingezogen. Der Machtwechsel, für den sich die Redaktion stark gemacht hatte, war endlich da. Für eine politisch links stehende Zeitung würde die Arbeit unter einem sozialistischen Präsidenten leichter sein, sagten sich Redakteurinnen und Redakteure – und das war sie dann auch.

Leser zermürbt

"Libération" und Regierung taten einander nicht weh. Das Dumme war nur: Immer mehr von Arbeitslosigkeit und Kaufkraftschwund zermürbte Leser sahen nicht mehr ein, wieso sie für die wohlwollend-verständnisvolle Begleitung einer täglich aufs Neue scheiternden Regierungspolitik am Kiosk Geld ausgeben sollten. Die Auflage brach ein, sank im vergangenen November unter die symbolträchtige Schwelle von 100.000 Exemplaren. Der Versuch, die alt-linke Kundschaft mit poppigen Life-Style-Artikeln bei der Stange zu halten, misslang. Als der hemdsärmelige Sarkozy noch im Elysée-Palast waltete, hatte "Libération" couragiert Kontra gegeben.

Der Leser honorierte Witz und Biss des Blattes. Die Auflage stieg. 2009 beschloss der vier Jahre zuvor mit 20 Millionen Euro eingestiegene Bankier Edouard de Rothschild zur Sanierung des Blattes weitere Millionen zuzuschießen. Der rechtskonservative "Figaro" war es damals, der als französische "Prawda" den Präsidenten wohlwollend, wenn nicht lobhudelnd begleitete und dies mit schwindender Auflage bezahlte. Nun haben sich die Rollen umgekehrt.

Während allerdings der Figaro-Eigner, der Flugzeughersteller Serge Dassault, damals Langmut bewies, ist den Libération-Besitzern die Geduld ausgegangen.