Wie ist der Fund von 700 Briefen des SS-Führers Heinrich Himmler in Tel Aviv zu bewerten?

HELMUT KONRAD: Die Öffentlichkeit ist überrascht, welchen Weg die Briefe genommen haben. Ich kenne die genauen Inhalte nicht, was darüber zu lesen war, verändern diese Briefe nicht das Bild des Nationalsozialismus. Sie verdeutlichen vielmehr, wie banal der nationalsozialistische Alltag war.

In den letzten Jahren wird scheinbar jedes Detail zum Thema medial ausgeschlachtet: Hitlers letzter Zeuge, Hitlers Sekretärin etc. Warum wecken die privaten Details der Täter derart großes Interesse?

KONRAD: Tauchen solche Dokumente auf, ist es immer von Interesse. Der Zeitpunkt des Publikwerdens bei gleichzeitiger Ankündigung einer Doku darüber, die zuerst auf der Berlinale läuft und danach im ORF zu sehen sein wird, ist beachtlich. Die Existenz dieser Briefe war schon lange bekannt, zuerst den Medien, erst dann der Forschung.

Die letzten Zeitzeugen werden bald nicht mehr leben - was bedeuten Nachrichten wie diese für das Geschichtsbewusstsein einer jüngeren Generation?

KONRAD: Wir befinden uns gerade in einer Phase, in der der Nationalsozialismus historisiert wird. Aufmerksamkeit für das Thema ist gut und wichtig. Ich sehe aber durchaus auch Gefahren darin; dass der Holocaust zu sehr "vermenschlicht" wird. Aber für mich menscheln die Massenmorde nicht.