APA: Sie werden überrascht sein: Ich möchte mit Ihnen zunächst über Kunst reden.

Matthias Hartmann: Nein, wie angenehm!

APA: Sie bereiten derzeit eine Produktion vor, die nicht im Spielplan angekündigt war und Mitte Dezember in einer Vorstellung überraschend ausprobiert wurde: "Der falsche Film". Wie kam es dazu?

Hartmann: Es gibt Projekte, die ich schon viele Jahre mit mir herumschleppe. "Die letzten Zeugen" war so eines. Nachdem dort funktioniert hat, dass ich nicht nur für einen geordneten Spielbetrieb sorge, sondern auch meine eigenen Träume reaktiviere, habe ich gedacht: Nehme ich den nächsten auch gleich in Angriff! Seit 15 Jahren habe ich diese Idee, einen Plot über Opportunismus unter Künstlern. Ich habe immer wieder nach einem Autor gesucht dafür und habe auch befreundete Künstler gefragt, ob sie mir helfen wollen. Roland Schimmelpfennig und Jan Lauwers haben mir aber gesagt: Du hast das so präzise im Kopf - du musst das selber machen.

APA: Worum geht es?

Hartmann: Es geht darum, dass in einem Waldstück in den letzten Kriegswirren ein Nazi-Propagandafilm gedreht wird. Plötzlich erfährt man, dass es das Deutsche Reich nicht mehr gibt. Im Zuge dieser Erkenntnis entnazifizieren sich alle und stellen erlöst fest, dass sie nie Nazis waren. Als die große, kollektive Entnazifizierung stattgefunden hat, müssen sie feststellen, dass das Ganze ein Irrtum war und müssen eine Renazifizierung vornehmen. Das geht noch zweimal hin und her. Mein Hauptthema ist der Gesichtsverlust - vor sich selbst und vor den anderen. Im März möchte ich das im Akademietheater zur Premiere bringen.

APA: Ist das nun Ihr ursprünglich angekündigtes "Demokratie-Projekt"?

Hartmann: Nein. Dabei wollte ich etwas über Populismus in unserer Zeit machen, aber ich habe mich entschieden, die dafür vorgesehenen Mittel in unser Ungarn-Festival im März zu transferieren. Das scheint mir mehr unter der Haut zu brennen. Diese Art von Ausgrenzung und Aushungerung von moderner Theaterkultur in unserem Nachbarland ist für uns ein wichtiges Thema geworden. Ich glaube, wir können Bewusstsein schaffen. Das Burgtheater magnetisiert und fokussiert öffentliches Interesse, wie man ja jetzt in allen möglichen Bereichen feststellt. Deswegen ist es gut, wenn das Burgtheater auf diese Themen aufmerksam macht.

APA: Im Augenblick macht das Burgtheater in anderer Weise auf sich aufmerksam - obwohl Gesichtsverlust dabei durchaus auch ein Thema ist. Es wird nicht über Aufführungen und Bühnenkunst, sondern über die Entlassung Ihrer Vizedirektorin und über Geld diskutiert. Kommen Sie sich derzeit auch "im falschen Film" vor?

Hartmann: Zwischendurch habe ich ein paar Mal überlegt, ob ich es mir leisten könnte, mich so wie große Vorbildregisseure aus der Generation vor mir zurückzulehnen und zu sagen: Ihr klärt das, und ich bin in der Zwischenzeit mal auf Reisen, oder so. Ich bin aber innerlich verpflichtet, mich da hinzustellen und verantwortlich für die Burg umzugehen. Wir sind jetzt auf der Suche nach Erklärungen für das, was da stattgefunden hat.

APA: Sie fühlen sich nicht mitverantwortlich?

Hartmann: So etwas können nur Wirtschaftsprüfer sehen. Ich bin ja nicht in der Buchhaltung des Hauses unterwegs. Ich muss mich auf das verlassen, was die Kaufleute machen. Ich gehe nicht mit Grundskepsis in die kollegiale Arbeit mit Menschen hinein. Ich musste hier lernen, dass die juristische Wirklichkeit mit dem gesunden Menschenverstand kein Bündnis eingeht. Ich konnte diese Ungereimtheiten nicht klären, wie es Menschen am Theater normalerweise machen - nämlich vertrauensvoll.

APA: Es heißt aber, Sie wüssten sehr wohl über die finanzielle Gebarung Bescheid - und es gibt ja auch das Vier-Augen-Prinzip. Für Außenstehende ist es schwer fassbar, dass Dinge, die zu sofortigen Entlassung führen, am zweiten Geschäftsführer vorbeigehen können.

Hartmann: Für ein Vier-Augen-Prinzip müssen es aber vier Augen sehen.

APA: Es könnten aber zwei der vier Augen auch bewusst wegschauen oder zugemacht werden. Es wurde mehrfach betont, es sei unverzüglich zu reagieren gewesen. Was müsste geschehen, dass der künstlerische Geschäftsführer fristlos entlassen wird?

Hartmann: Ich habe nicht weggeschaut, weil ich solche Dinge nicht sehen kann, die sehen nur die Wirtschaftsprüfer. Wir müssen hoffen, dass diese Buchungen demnächst ihre Erklärung finden, damit wir aus diesem Gerüchtemoloch herauskommen - und die finanzielle Situation und die Causa Stantejsky getrennt werden, wie Äpfel und Birnen getrennt gehören.

APA: Im Februar 2013 hat Frau Stantejsky einen Warnruf zur finanziellen Situation des Hauses losgelassen. Auch Sie haben mehrfach vor dem "langsamen Erstickungstod, der uns vonseiten der Politik auferlegt wird" gewarnt. Haben Sie begründete Hoffnung, dass Ihre Warnungen ausgerechnet jetzt erhört werden, obwohl überall gespart werden soll?

Hartmann: Ich habe die Stellschrauben, die ich in der Hand habe, sehr wohl bedient. Ich habe die Einnahmen, die ich als künstlerischer Direktor in der Hand habe, erhöht - sie sind auch heuer wieder um 200.000 Euro über den sehr ambitionierten Plan gestiegen -, ich habe beim künstlerischen Personal versucht zu sparen und bin bei den Produktionskosten ungefähr gleich geblieben. Ich habe die "Junge Burg" erfunden, die halte ich für lebenswichtig, um in die Zukunft unserer Zuschauer zu investieren. Ich habe aber eine Verbindlichkeit von 15,3 Millionen geerbt, als ich hier anfing, und die hat sich sicherlich vergrößert, weil das Theater ein strukturelles Defizit hat. Wenn ich jedes Jahr eine Million mehr Lohnkosten zahlen muss, die mir aber nicht gegeben werden, dann fehlen sie mir. Und im nächsten Jahr zwei. Das kann jedes Milchmädchen verstehen. Ich kann nicht dazu verpflichtet werden, Direktor eines Hauses zu sein, das Schulden macht, um zu existieren. Ich habe, glaube ich, mit Minister Josef Ostermayer jetzt einen Partner, der diese Zusammenhänge durchschaut und Lösungen dafür sucht. Diese Lösungen muss die Kulturpolitik verantworten. Wenn man die Summe, die Klaus Bachler bekommen hat, indexiert, wären wir jetzt bei 58,8 Mio. Euro - ich habe aber jetzt 46,3.

APA: Damit ist das Burgtheater noch immer das finanziell vielleicht am meisten geförderte Sprechtheater der Welt. Kann man da nicht Abstriche verlangen?

Hartmann: Das kann man sicherlich. Dann muss der Auftrag anders definiert werden. Darum geht es mir auch: Dass man darüber redet, was das Burgtheater in der Zukunft sein soll. Im Moment spielen wir in drei Spielstätten Repertoire, und wir sind ausverkauft. Um das zu finanzieren, brauchen wir aber öffentliches Geld, wie Schulen, Museen und Schwimmbäder auch. Bevor sich Österreich das leisten möchte, das Rückgrat seines nationalen kulturellen Selbstbewusstseins runterzusparen, wäre es vielleicht wichtig zu wissen, wir hoch die Ausgaben in anderen Bereichen des öffentlichen Lebens sind. Die Kulturausgaben sind in den letzten Jahren sogar von 1 Prozent auf 0,6 Prozent der Staatsausgaben gefallen. Das ist ernüchternd, wenn man hört, über welches Verhältnis zu den sonstigen Staatsausgaben wir hier eigentlich reden. Und dass jetzt Kulturjournalisten für mich zu Sparkommissären werden.

APA: Stünden Sie für einen veränderten kulturpolitischen Auftrag zur Verfügung?

Hartmann: Ich finde, man muss das mit Räson und Bedacht miteinander besprechen. Natürlich gibt es Schmerzgrenzen, wo man sagt: Dann ist das Burgtheater kein Burgtheater mehr. Aber wir müssen das Gegenteil machen und das Theater in eine sichere Zukunft überführen, in der es klare Verabredungen gibt. Das ist mein großes Ziel.

APA: Wie geht es Ihnen mit dem neuen kaufmännischen Geschäftsführer Thomas Königstorfer?

Hartmann: Bei ihm ist es sehr erfrischend, dass er nicht aus dem Bauch des Betriebs kommt und deswegen die Trampelpfade der bisherigen Arbeitsweisen nicht blind übernimmt. Durch die jetzige Situation wird er sogar noch ermutigt, mit frischem Blick und Reformwillen auf die Dinge zu schauen. Er kann Strukturen anders aufziehen. Das finde ich sehr gut. Als ich hierherkam, war ich erst einmal der Fremde, und das Burgtheater hat mir zu verstehen gegeben: Wir sind immer so und bleiben auch so. Dabei wollte ich meine Erfahrung einbringen, die ich als Direktor an anderen Häusern gesammelt habe. An dieser Stelle möchte ich noch einmal sagen, dass ich in Bochum und Zürich zwei Sanierungsfälle als Theater geerbt und beide saniert und in einer hervorragenden Situation zurückgelassen habe.