Es ist die programmierte Glanznummer der Wiener Theatersaison: Klaus Maria Brandauer als "König Lear", am Burgtheater inszeniert von Peter Stein. Nächste Woche ist Premiere. Im Interview erzählt Brandauer, warum er sich jetzt der Herausforderung dieser Rolle stellt.

Der Lear gilt als eine der gewaltigsten Theaterrollen. Muss einem grauen vor dieser Figur? KLAUS MARIA BRANDAUER: Sicher, vor dem, was wir alle vom Lear in uns selber finden. Nur deswegen spiele ich den alten Kerl ja, um mir und dem Publikum einen Blick in seine Abgründe zu gestatten oder besser: uns dazu zu zwingen, den Blick nicht abzuwenden.

Wie lässt sich so ein Wahnsinns-Part bewältigen? BRANDAUER: Einmal durch gute Vorbereitung, die dauert bei mir immer sehr lange, viele Monate und dann durch Konzentration. Ich genieße einen solchen Prozess auch sehr.

Shakespeare zeichnet Lear als cholerischen Herrenmenschen, der erst durch sein Leiden, durch den Verlust der Welt, menschlich wird. Bleibt einem Schauspieler anderes übrig, als eine solche Figur aus der eigenen Erfahrung zu bauen? BRANDAUER: Nein, es ist grundsätzlich so, dass man auf der Bühne das eigene Leben ins Spiel bringen muss. Nur dann kann es berühren, wenn man selber angerührt ist. Das gilt für jeden Schauspieler, Musiker, Politiker.

Der Shakespeare-Exeget Jan Kott sagt über Lear: "Er sieht und versteht überhaupt nichts ... Als Person betrachtet, als Charakter, ist Lear lächerlich, naiv und dumm. Sein Wahnsinnigwerden kann höchstens Mitleid erzeugen, niemals Erbarmen oder Grauen." BRANDAUER: Ich verstehe schon, dass man aus dem Text diesen ersten Eindruck gewinnen kann. Aber umso näher man dem Ganzen rückt, desto komplexer und realer wird alles, man könnte auch sagen lebendiger.

Am Ende des Stücks, wenn die Welt in Trümmern liegt und endlich fast alle tot sind, ist keiner erlöst, und Wiederherstellung der Ordnung wirkt fast behelfsmäßig. Stimmen Sie zu, dass der "Lear" so pessimistisch ist wie kaum ein anderes Shakespeare-Stück? BRANDAUER: Das ist beim Hamlet ähnlich, fast alle sind tot, eine alte Ordnung geht unter und was danach kommt ist noch nicht sichtbar. Bei Shakespeare gibt es immer eine zwingende Folgerichtigkeit. Im Lear ist die vielleicht noch ein Stück unbarmherziger gezeigt.

Muss man sich als Schauspieler solche Düsternis vom Leib halten? BRANDAUER: Nein, man muss sich ihr stellen und zeigen, dass darin auch eine große Alltäglichkeit liegt. Shakespeare ist einer der unbequemsten Theaterautoren, die ich kenne. Bei ihm ist nichts harmlos, keine Zeile.

Wenn man das Stück an der Grenze zwischen Realismus und Märchen angesiedelt sehen will: Auf welche Seite schlagen Sie sich? BRANDAUER: Das kann ich nicht sagen, solche Gedanken mache ich mir nicht.

Sie arbeiten seit Jahren vorzugsweise mit dem Regisseur Peter Stein. Wie man hört, gern unter Funkenflug. Was sind die Freuden, was die Schwierigkeiten einer solchen intensiven Zusammenarbeit? BRANDAUER: In den letzten Jahren sogar ausschließlich mit ihm. Wir reden wenig über Theater. Ich glaube, das macht es aus. Die Inszenierung entsteht quasi nebenbei. Das stimmt natürlich nicht, weil da unheimlich viel Arbeit von vielen Menschen drinsteckt. Aber ich habe trotzdem manchmal den Eindruck, dass es so ist.

Sie haben einmal gesagt, Sie seien auf der Bühne immer Sie selbst. Gilt das auch hier? BRANDAUER: Ja, wer sollte ich denn sonst sein! Max Reinhardt hat gesagt, nicht Verstellung ist die Aufgabe des Schauspielers, sondern Enthüllung. Das trifft es auf den Punkt!

Abgesehen davon, dass man annehmen darf, dass diese Rolle jeden Schauspieler lockt: Was hat Sie dazu bewogen, den Lear jetzt spielen zu wollen? BRANDAUER: Es war für mich bereits klar, als ich den Hamlet gespielt habe, dass dann irgendwann der Lear kommen muss. Jetzt passiert es, wiederum am Burgtheater. Das freut mich wirklich sehr, ich bin hier seit über vierzig Jahren im Ensemble.

Wirkt Erwartungsdruck eigentlich noch auf Sie? BRANDAUER: Ja, alles andere wäre gelogen. Ich will gut sein und das ist nicht einfach.

Sie haben in Interviews mehrmals erzählt, dass Sie ganz unvorbereitet in Proben gehen. Auf dem Lear liegen mehr als 400 Jahre Kulturgeschichte. Wie unvorbereitet kann man da überhaupt sein? BRANDAUER: Ich bin in die Lear-Proben als Mensch mit inzwischen siebzig Jahren Lebenserfahrung gegangen, das ist eine Menge Vorbereitung.

Und was kann nach dem Lear noch kommen? BRANDAUER: Eine richtige Komödie, am liebsten eine neue.