Die 207 Originalseiten von Robert Crumbs Comic-Version der Genesis sind einer von vielen Hinweisen auf Schöpfung. Nicht unbedingt im biblischen Sinn, sondern auf Kreativität an sich. Biennale-Kurator Massimiliano Gioni hat im Hauptpavillon in den Giardini sowie im Arsenale einen wahrlich beeindruckenden "Enzyklopädischen Palast" (so das Motto der diesjährigen Weltkunstschau) er- und eingerichtet. Und damit eine der anregendsten Biennalen der letzten Jahre kreiert. Der Kurator als lustvoller Schöpfer.

Überraschungen

Crumb liefert eine von vielen Überraschungen einer intelligenten Inszenierung. Die manchmal das Pathos nicht scheut, aber dieses immer wieder mit feinem Witz austariert. Was in der Ankündigung ein Sammelsurium mehr oder weniger obskurer Artefakt befürchten ließ, entpuppt sich als zwar geballte, aber niemals in skurriler Üppigkeit ertrinkende Präsentation höchst individueller Positionen. Von Resultaten oftmals sehr individueller Obsessionen, die aber im Zusammenhang die spezifische Qualität menschlichen Schaffensdrangs vielfältig belegen.

Von Marino Auritis namensgebendem Projekt eines 700 Meter hohen Universalmuseums (schon als Modell sechs Meter hoch) über Carl Gustav Jungs berühmtes "Rotes Buch" und Rudolf Steiners Vortragstafeln bis zu James Lee Byars und Walter De Marias nahezu alchemistischem Umgang mit Materie und Cindy Shermans Sammlung von Sammlungen (in Gestalt anonymer Fotoalben) - auf Schritt und Tritt begegnet man Manifesten und Manifestationen des Wunsches, sich darzustellen, zu erklären. Das kann, wie gesagt, sehr unterhaltsam sein, sehr ernsthaft, realistisch, magisch, banal, surreal.

Gionis "Palazzo Enciclopedico" hat etliche Bewohner, die aus Österreich kommen. Der 2012 verstorbene Walter Pichler war der Erste überhaupt, den der bislang jüngste Biennale-Chef um eine Teilnahme bat. Des Weiteren zeugen die 387 Modellhäuser des Wiener Versicherungsbeamten Peter Fritz (präsentiert von Oliver Croy und Peter Elser) für den Schöpfergeist eines Einzelnen. In den 30er-Jahren ließ der Wiener Fotograf und Ethnologe Hugo A. Bernatzik in Melanesien Menschen jene Motive zeichnen, die sie üblicherweise als Kunst auf Zeit in den Sand der Strände zogen. Die Kärntnerin Maria Lassnig (93), der morgen der Goldene Löwe für ihr Lebenswerk überreicht wird, belegt neben vielen anderen Frauen, dass dem Schöpfer ebenbürtig die Schöpferin zur Seite steht. Herbert Lists "metaphysische Fotografien" erhellen andere Winkel des komplexen Gebäudes Kreativität.

Die Länderpavillons geizen nicht mit spannenden Ergänzungen. Unter dem Titel "English Magic" zaubert etwa Jeremy Deller aus höchst disparaten Zutaten ein so kritisches wie köstliches Ganzes. Unter anderem versenkt der viktorianische Designer William Morris die Yacht des russischen Oligarchen Roman Abramovich. Im russischen Pavillon lässt Vadim Zakarov mythologisch inspirierte Münzen (One Danaë) nur auf Frauen regnen, während die (im wahrsten Sinn auf dem hohen Ross sitzenden) Männer ihr Fett wegkriegen.

Die Griechen zeigen ein melancholisches Film-Triptychon zur Lage. Polen lässt zwei gewaltige Glocken klingen und deren Klang elektronisch verfremden. Motto: "Alles war für immer, bis es nicht mehr war". Der Schweizer Valentin Carron macht platt gewalzte Blasinstrumente zu Wandschmuck. Südafrika, Spanien, Israel, Japan bieten komplexe Verschränkungen einer gesellschaftlich interessierten Kunst.

Gepflanzt

Ach ja, nicht zu vergessen, ist da noch Österreichs Pavillon. Mathias Poledna ließ in Hollywood einen Song aus den 1930er-Jahren in Stil und Technik der Filmcartoons jener Zeit herstellen. Knapp drei Minuten, deren bunte Oberfläche auch nach mehrmaliger Ansicht nicht tiefer werden will. Das Bemerkenswerteste ist, dass Kurator Jasper Sharp 400.000 Bundes-Euro um 600.000 von privaten Sponsoren aufstocken konnte, wofür er sehr gelobt wurde. Der trickverfilmte Song heißt übrigens "I've Got A Feeling You're Foolin'", etwa "Ich glaube, du pflanzt mich". Womöglich das geheime Programm der teuren Nichtigkeit?