Herr Meyerhoff, halbböse Zungen behaupten, viele zeitgenössische Literaten würden vor allem deshalb fast ausschließlich über ihre eigene Kindheit schreiben, weil sie danach, gebannt an den Schreibtisch, nur noch wenig Erwähnenswertes erlebten. Bei Ihnen kann dies gänzlich ausgeschlossen werden. Aber wie stehen Sie zu obigem Urteil?

JOACHIM MEYERHOFF: Mich würde interessieren, was die ganz bösen Zungen sagen - aber die Frage ist doch, was jemand wie ich, der 1967 in gutbürgerlichen und sicheren Verhältnissen geboren wurde, überhaupt zu erzählen hat. Jahre-, ach was, jahrzehntelang hatte ich ein Gefühl der totalen Biografielosigkeit - oder zumindest einer genormten Nullachtfünfzehn-Biografie. Um so schöner ist dann die Entdeckung, dass da eben doch viel Unvergleichliches und Besonderes war. Und wenn man erst einmal den erzählenswerten Blickwinkel entdeckt hat, dann beginnt auch schon die Unendlichkeit der Ereignisse, ein eigenes Universum der Möglichkeiten.

Henry Miller meinte einmal, sich zu erinnern, sei die wichtigste Sendung des Menschen auf Erden. Teilen Sie, quasi als Erinnerungs-Archäologe, diese Ansicht?

MEYERHOFF: Unbedingt! Aber ich würde nie in diesem Zustand des Erinnerns verharren wollen.

Sondern?

MEYERHOFF: Für mich bedeutet das Vergegenwärtigen des Vergangenen eben auch immer eine Perspektiven-Eröffnung für das Zukünftige. Dadurch, dass ich versuche, mich auf schmerzliche, aber auch unterhaltsame Art und Weise immer genauer zu erinnern, erhoffe ich mir auch ein genaueres und heiteres Gelingen der Zukunft. Ich nenne das dann gerne: Vergangenheit gestalten - also das Gewesene wie etwas zu behandeln, das nicht fest und eingefahren ist, sondern offen, wie das, was vor uns liegt.

Welche Autoren, Autorinnen haben Sie denn besonders geprägt, vielleicht auch stilistisch. Oder wollen Sie einfach d e r Meyerhoff sein?

MEYERHOFF: Ich will absolut nicht d e r Meyerhoff sein, und da ich immer viel gelesen habe, habe ich auch immer einen genauen Begriff davon gehabt, was ich für tolle Literatur halte. Es hat ja auch deshalb so lange gedauert, jetzt diese zwei Romane zu veröffentlichen. Die vielen von mir verehrten Schriftsteller haben mich viele Jahre gelähmt und vom Schreiben abgehalten. Aber irgendwann mit vierzig reicht es dann auch mal. Ich mach es halt so gut ich kann . . .

Ein dezentes Understatement. Es ist dieser scheinbar so leichte Wechsel zwischen Ironie, Melancholie und Tragik, der Ihre Werke besonders auszeichnet. Ist Ihnen Ihre enorme Wandlungsfähigkeit als Schauspieler dabei eine Hilfe?

MEYERHOFF: Vom Theater weiß ich, dass sich in einer guten Inszenierung Komik und Ernsthaftigkeit nicht ausschließen. Von einer Sekunde auf die andere muss das wechseln können. Danach suche ich - nach diesen Brüchen. Von dieser Lebendigkeit muss etwas in die Geschichten. Und trotzdem darf es nicht fest werden oder grob - so eine leichte waghalsige, hin und wieder das Unvorstellbare streifende Leichtigkeit wünsche ich mir. Aber klar - leichter gesagt als getan.

Eines Ihrer vielen herausragenden Merkmale ist die enorm feine Beobachtungsgabe. Woher rührt diese rar gewordene Fähigkeit?

MEYERHOFF: Oft kommt es mir so vor, dass in jedem Gegenstand, jeder Bewegung, jedem Gedanken etwas Verborgenes liegt. Buster Keaton und ein Klappstuhl - danach ist der Klappstuhl für immer ein anderer. Alles was ich sehe, sehe ich irgendwie nur halb, höre ich nur halb - oder vielleicht sogar noch viel weniger. Das schmerzt mich. Dieses Wissen, so unendlich viel zu verkennen. Deshalb versuche ich, genau zu sein. Es geht um Abstraktion. Nicht um das naturgetreue Abbild einer Erinnerung. Plötzlich öffnet sich ein ganzer Mensch durch eine einzige genau beschriebene Bewegung.

Der Titel "Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war" impliziert auch einige Sehnsucht. Würden Sie die Ernennung zum "Romantiker" akzeptieren?

MEYERHOFF: Na klar.

Wie würden Sie sich selbst den Leser am Ende der Lektüre wünschen - mit einem lachenden und einem weinenden Auge zugleich vielleicht?

MEYERHOFF: Ja, das wäre schön - wie man mitten in einer Verzweiflung plötzlich ins Lachen gerät oder mitten in einem Gelächter zu weinen beginnt. So eine wohltuende emotionale Unordnung würde ich mir wünschen.

Geplant ist eine Roman-Trilogie. Können Sie schon ein wenig über den dritten und letzten Teil verraten oder ist all das noch sehr in Schwebe?

MEYERHOFF: Oh ja, das schwebt . . .