Bücher für alle Stimmungen, Launen, Lebenslagen und Werke, die vielleicht auch als Reiselektüre ideal geeignet sind - dies waren die einzigen Kriterien bei dieser Auswahl an Lesetipps. Eine Expedition also durch all die Bücherberge, die bei herausragenden literischen Neuerscheinungen dieses Halbjahres ihren Anfang nehmen soll.

Als Literaturfreund keinen Bogen machen kann man um die "Parallelgeschichten" von Péter Nádas (Rowohlt, 42 Euro). Runde 18 Jahre lang schrieb er an seinem mehr als 1700 Seiten umfassenden Opus Magnum, das nicht mehr und nicht weniger sein will als die Geschichte Mitteleuropas im 20. Jahrhundert; vom Faschismus über die Umstürze in Ungarn bis zum Mauerfall - ausufernd, mäandernd, exzessiv, mitunter allzu detailverliebt oder geschwätzig. Aber der Erzählwucht tut das keinen Abbruch. Diverse Vergleiche mit Marcel Proust oder Robert Musil sind zu hoch gegriffen, ein epochales Werk ist es allemal.

Der Begriff epochal trifft auch auf Jennifer Egans "Der größere Teil der Welt" zu (Schöffling, 24 Euro). Anhand einer Musikgeschichte gelingt es der Autorin, auf allen Genre-Ebenen virtuos zu tanzen und ein US-Sittengemälde zu schaffen, das auch Kollegen wie Jonathan Franzen ziemlich alt aussehen lässt.

Dritter im Bunde der Großmeister ist William Boyd, der seinen Roman "Eine große Zeit" (Berlin Verlag, Euro) im Jahr 1913 in Wien beginnen lässt. Der Protagonist, ein junger Schauspieler, findet sich, gemeinsam mit dem Leser, rasch in einem Psycho- und Spionagethriller wieder, reich an Zeitkolorit und raffinierten Wendungen. Hohe Erzählkunst, ganz einfach.

Auf "Beginners", die erstmals ungekürzten Meistererzählungen von Raymond Carver (Fischer-Verlag, 23 Euro) wurde bereits mehrmals verwiesen. Ebenso herausragend ist eine weitere Neuübersetzung: "Ein Porträt des Künstlers als junger Mann" (Manesse, 26 Euro) ist jener, nun ja, Bildungsroman, mit dem James Joyce sprachmächtig auszog, die Weltliteratur zu erobern, zu verzaubern und zu verstören.

Pure Poesie und Nostalgie. Ein Pflichtbuch, nicht nur für Paris-Fans: Patrick Modianos Geschichten rund um ein Pariser Café in den 1960er-Jahren. Nostalgisch, berührend und eindringlich wie ein melancholisches Chanson in epischer Form. Patrick Modiano. Im Café der verlorenen Jugend. Hanser, 160 Seiten, 17,50 Euro.

Zweite Satire-Lieferung aus Pakistan. Mit der "Kiste explodierender Mangos" wurde Mohammed Hanif zum Edelzyniker, sein Roman um eine christliche Krankenschwester bietet eine ähnliche Dosis an Entlarvungen. Mohammed Hanif. Alice Bhattis Himmelfahrt. A 1 Verlag, 272 Seiten, 20,50 Euro.

Bittere Abrechnung . Ein Aviso, ausnahmsweise: In Kürze wird Paul Austers neuer Roman „Sunset Park“ erscheinen. Und nach einigen eher flauen Romanen zeigt sich Auster wieder in Höchstform: Die Geschichte einer Gemeinschaft von Gestrandeten wird zur radikalen Abrechnung mit all den Kapitalhirschen in Zeiten der Wirtschaftskrise. Paul Auster. Sunset Park. Rowohlt, 320 Seiten, 21 Euro (ab 20. 7.).

Alles ist Magie. Ein einst genialer Mathematiker, der alle 80 Minuten seine Erinnerung verliert, aber permanent von der Schönheit der Zahlen schwärmt. Klingt sperrig, aber Yoko Ogawa schuf daraus ein magisches Wunderwerk. Yoko Ogawa. Das Geheimnis der Eulerschen Formel. Liebeskind, 250 Seiten, 19,50 Euro.

Über die verkommene Moral. Eine Abrechnung, wichtig, brisant. Oksana Sabuschko präsentiert dem ukrainischen Horror-Regime eine vernichtende Bilanz, bei der auch der Westen sein Fett abbekommt. Oksana Sabuschko. Planet Wermut. Droschl, 166 Seiten, 19 Euro.

Auf Steppenwolfs Spuren. Um es mit Thomas Bernhard zu sagen: "Hesse? Zeitweilig geliebt, dann wieder gehasst". Egal. Am 9. August jährt sich der 50. Todestag des großen Dichters, von Gunnar Decker stammt die derzeit profundeste Biografie. Gunnar Decker. Hesse. Der Wanderer und sein Schatten. Suhrkamp, 704 Seiten, 28 Euro.

Der spinnt, der Schulz, aber ordentlich. Für Harry Rowohlt ist Frank Schulz schlicht der beste Autor der Welt. Na dann! Wer Arno Schmidts Sprachartistik mag, wird diese völlig schräge Detektivgeschichte lieben. Frank Schulz. Onno Viets und der Irre vom Kiez. Galiani, 366 Seiten, 21 Euro.

Schlicht sagenhaft gut. Als "böser Sommernachtstraum" wurde John Burnsides neuer Roman ausgewiesen und das kommt der Sache schon recht nahe. Angesiedelt ist seine gespenstische Geschichte jenseits des Polarkreises, erneut erweist sich Burnside als großer Seelenforscher. Eine finstere Story mit großem sprachlichen Glanz. John Burnside. In hellen Sommernächten. Knaus, 384 Seiten, 21 Euro

Schadensmeldung. Weltruhm erlangte er mit seiner Artemis-Fowl-Serie, nun schrieb Eoin Colfer seinen ersten Krimi. Der Titel ist Programm: "Der Tod ist ein bleibender Schaden". Grotesk, absurd, also: saugut. Eoin Colfer. Der Tod ist ein bleibender Schaden. List, 288 Seiten, 15,50 Euro.

Keiner kommt hier lebend heraus. Wo Daniel Woodrell hintritt, wächst keinerlei Gras mehr nach. "Winters Knochen" wurde grandios verfilmt und preisgekrönt, in seinem neuen, im Original 2001 erschienenen Roman fliegen von einem familiären Hexenkessel absolut alle Deckel weg. Harte Kost, schonungslos aufbereitet. Daniel Woodrell. Der Tod von Sweet Mister. Liebeskind Verlag, 192 Seiten, 17,50 Euro.

Brisante Zeitbefunde. Diesfalls eine Pauschalempfehlung: Wo Dominique Manotti draufsteht, ist stets weitaus mehr als Krimis drin. Die Französin liefert brisante und düstere Zeitbefunde. Tipp für Einsteiger: „Einschlägig bekannt“, Argument-Verlag, 14 Euro.

Der Universalverkehrte. Gnadenlos schräg, verschwurbelt, allzeit bereit, Fragen zu beantworten, die sich keiner stellt – der FM4-Ombudsmann beutelt die Ohren ordentlich durch. Wer mehr davon will: Alle Beiträge gibt es nun in Buchform. Martin Puntigam/Hosea Ratschiller. Der FM4 Ombudsmann. Czernin, 16,50 Euro.

Am Rande der Sprachlosigkeit. Einen Fixplatz unter den Lieblingsautoren hat Gerbrand Bakker. Seine Geschichte einer Frau, die fliehen und vergessen will, aber in einer Scheinidylle in Wales keinem Elend entkommt, macht sprachlos. Mutlos nicht. G. Bakker. Der Umweg. Suhrkamp, 21 Euro.