Der Walt-Disney-Film "Mary Poppins" (1964) war ein oscarprämierter Welterfolg. Das mit 44 Theaterpreisen ausgezeichnete Broadway-Musical dazu begeisterte weltweit schon 11,5 Millionen Besucher. Würde die deutschsprachige Erstaufführung im Wiener Ronacher dem Vergleich mit den großen Vorbildern standhalten?

Ja, durchaus. Mary Poppins, charmant und stimmig verkörpert von Annemieke van Dam, schwebt genauso mit Schirm und Hütchen vom Himmel, wie man das aus dem Film mit Julie Andrews in Erinnerung hat. Ohrwürmer wie "Chim Chim Cher-i", "Mit 'nem Teelöffel Zucker" und "Supercalifragilisticexpialigetisch" reißen das Publikum auch in der deutschen Fassung mit. Das Orchester der Vereinigten Bühnen Wien unter Koen Schoots' Leitung trifft von Anfang an einen beschwingten und gefühlvollen Musicalton, das Bühnenbild von Bob Crowley ist ungemein wandelbar und entführt in ein bezauberndes London um 1900.

Unter der Regie von Richard Eyre bringt das "zauberhafte/zaubernde" Kindermädchen Mary Poppins alles ins Lot und die Charaktere sind so, wie sie im typischen Musical sein sollen: David Boyd ist als Bert ein sympathischer Fantast, Milica Jovanovic eine überforderte, aber liebevolle Mutter, Reinwald Kranner ein Vater, der glaubhaft erst von "Korrektheit und Ordnung" singt und später - dank Mary Poppins - Familie und Eheglück in den Vordergrund stellt. Tania Golden gibt eine resolute Mrs. Brill, Niklas Abel einen köstlich tölpelhaften Robertson Ay und die Kinder Fiona Bella Imnitzer und David Paul Mannhart sind in der richtigen Mischung herzig und frech. Auch die Nebenrollen sind mit Sandra Pires als Vogelfrau und Maaike Schuurmans als Miss Andrew exzellent besetzt. Die Ballettszenen sind mitreißend - steppende Rauchfangkehrer stehen exemplarisch für den Abend und das Genre Musical: höchste Perfektion, die dennoch leicht und unangestrengt wirkt.

Wann ist ein Musical gelungen? Wenn man mit einem Lächeln hinausgeht und vor sich hin summt - "supercalifragilisticexpialigetisch" zum Beispiel.