Am 23. Mai 1803 gab Maria von Herbert in Klagenfurt eine Gesellschaft. Sie verließ sie unter einem Vorwand und nahm sich wohl noch an diesem Tag das Leben. Damit vollendete sie das, was sie Jahre zuvor bereits in drei von der Wissenschaft mittlerweile vielbeachteten Briefen an Immanuel Kant diskutiert hatte. Die Schwester des Bleiweiß-Fabrikanten Franz Paul von Herbert war Teil des Herbert-Kreises, eines Zirkels von aufgeklärten Männern und Frauen, der im Herbertstöckl am St. Veiter Ring unter anderem die Schriften von Kant intensiv las und diskutierte. Wohl wegen ihrer Verehrung für den Aufklärer wandte sich Maria von Herbert im Jahr 1791 an ihn. Die 22-Jährige ist verzweifelt, weil ihr Geliebter sie nach dem Geständnis, sie habe schon vor ihm eine Beziehung gehabt, verlassen hat. Den damals bereits 67-jährigen Kant bittet sie „um Hilf, um Trost oder um Bescheid zum Tod“.

„Eigentlich wollte sie von Kant etwas sehr Radikales: Sie schreibt ihm, dass seine Philosophie ihr nicht geholfen habe und sie bittet ihn um eine Handhabe, die es ihr erlaubt, einen neuen Lebenszweck zu finden oder die Erlaubnis zur Selbsttötung. Es geht also um nicht weniger als die Frage, welche Bedeutung man dem Leben geben soll“, sagt Bernhard Ritter, derzeit Forscher am Institut für Philosophie der Universität Graz. Seine intensive Beschäftigung mit Maria von Herbert begann während seiner Zeit an der Universität Klagenfurt, er war es auch, der im Inventar der Verlassenschaft auf Maria von Herberts bis dahin unbekannten unehelichen Sohn Barnabas stieß: „Leider wissen wir noch nicht, wann der Sohn geboren wurde und wo er aufwuchs.“

Kant jedenfalls, nie als großer Briefschreiber bekannt, antwortete der verzweifelten jungen Frau auf ihren ersten Brief, erhalten blieb allerdings nur der Entwurf. Der Theoretiker hat aber wenig Trost zu bieten und meint immerhin am Ende, wenn man Gutes tun könne, dann habe man einen Grund, das Leben zu bewahren, erklärt Bernhard Ritter. Maria von Herbert, die eine große Leere in sich spürte, schrieb Kant noch zwei weitere Briefe, bekam aber keine Antwort mehr. Im Gegenteil: Später hat Kant ihre Briefe sogar an die junge Tochter seines Freundes Robert Motherby geschickt als „Warnung“ vor den „Irrtümern einer sublimierten Fantasie“. „Wir fragen uns nach wie vor, warum er das getan hat. Erst bezeichnet er sie als ,liebe Freundin´, dann als fast pathologischen Fall und dann gibt er die Briefe an eine ganz junge Frau weiter“, wundert sich Bernhard Ritter.

Das Herbertstöckl
Das Herbertstöckl © Markus Traussnig

Jedenfalls könnten diese drei Briefe zum fixen Bestandteil der Diskussion über Kants Moralphilosophie werden: „Da geht es um zentrale Fragen wie darum, ob Ehrlichkeit moralisch erforderlich ist oder um die Frage der Selbsttötung.“ Wie spannend Maria von Herbert für die Kant-Forschung ist, zeigte im Vorjahr die traditionelle „Kant Reading Party“ im schottischen St. Andrews, bei der Forscher aus aller Welt über die Klagenfurter Baroness und ihre Briefe diskutierten. Ebenfalls im Vorjahr porträtierten Violetta Stuchlik, Pia Telebuh und Barbara Schlesinger Gómez im Rahmen des Masterstudiums Visuelle Kultur der Universität Klagenfurt gemeinsam mit dem Fotografen und Fotokünstler Christian Brandstätter Maria von Herbert in einem einfühlsamen, 17-minütigen Film, mit dem auch auf den Erhalt des renovierungsbedürftigen Herbertstöckls aufmerksam gemacht werden sollte. Aktuell gehört es dem Eventmanager Hannes Jagerhofer: „Wir überlegen noch, was man daraus entwickeln könnte. Wir suchen Partner, die ein Gespür für das Ensemble haben, am schönsten wäre natürlich ein kulturelles Projekt.“