So viel steht fest: Erde ist nicht der Stoff, aus dem viele Start-up-Träume sind. Doch zwei Kärntner sind eben damit höchst erfolgreich. Obwohl ihre Idee erst digital wachsen musste, bevor das erste Schäufelchen Erde überhaupt bewegt wurde. Aber der Reihe nach.
Christoph Raunig machte nach der Matura die Mechanikerlehre und arbeitete im Autoverkauf. Berufsbegleitend studierte er Wirtschaftspsychologie. Und er begann über die Wertigkeit von Lebensmitteln nachzudenken: „Warum geben Leute, ohne mit der Wimper zu zucken, 1500 Euro für einen Fernseher aus, werden aber nervös, wenn jemand Milch um 1,20 verkauft?“ Außerdem stellte er fest, dass

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Menschen mit einem eigenen Garten ihre Erzeugnisse wertzuschätzen wissen – und eine Idee keimte in ihm: Warum nicht dafür sorgen, dass jeder seinen Garten haben kann? Auch in einer Wohnung in der Stadt. So kam Patrick Kleinfercher ins Spiel. Denn der gelernte Tischler ist ein Tüftler. Als ihm Raunig die Idee eines „ferngesteuerten Gemüsegartens mit echten Erträgen“ in den Kopf pflanzte, brauchte es nur zwei Tage, bis die Zusammenarbeit beschlossene Sache war. Das Start-up myAcker wurde gegründet.

„Dann fange ich einmal an – drei Wochen brauche ich, hat Patrick gesagt“, grinst Raunig. „Mittlerweile programmiert er noch immer.“
An den 23. Dezember 2015 erinnert sich Raunig, als wäre es gestern: „Wir sitzen vor dem Computer und Patrick sagt: Über was wir noch nicht geredet haben – kannst du Gemüse anbauen?“ Keiner von beiden konnte das. Deshalb machten sie sich 2016 auf die Suche nach einer Ackerfläche und nach einem Gärtner, von dem sie lernen konnten. „Vier von fünf wollten nicht mit uns arbeiten: ,Was erzählt ihr da von einem Gemüse-Tamagotchi?‘“

Schließlich hatte die Gärtnerei Fercher in Greifenburg Erbarmen und schickte die Jungunternehmer jeden Tag mit neuen Pflanzen zum frisch gepachteten Acker am Lurnfeld. Sie wuchsen an ihren Aufgaben. „Wir fanden heraus, dass für 67 verschiedene Pflanzen ideale Bedingungen auf dem Acker herrschen“, erzählt Raunig. Um die Bodenfeuchte zu messen, legten sie Kabel aus. Die ersten nagten die Mäuse durch. Sie schaufelten, pflanzten, ernteten, programmierten und testeten den Über-Nacht-Versand aus. Schließlich gelang es ihnen auch, einen Algorithmus zu entwickeln, mit dessen Hilfe sich etwa bestimmen lässt, wann der Boden wie viel Feuchtigkeit braucht und das Gemüse reif wird. Alles nach Feierabend. Neben dem Job.

2017 war man bereit für den ersten Kunden. Ein Aufruf über Facebook brachte 25 virtuelle Gärtner. Zu wenige, um jemanden einzustellen, also krempelten die Kärntner selbst die Ärmel hoch und ackerten. 2018 machten sie sich auf die Suche nach Investoren – ein Auftritt in der Puls-4-Show „2 Minuten, 2 Millionen“ riss nicht nur das Investorentrio Leo Hillinger, Katharina Schneider und Hans Peter Haselsteiner vom Hocker und brachte 150.000 Euro Kapital – er machte auch eine Entscheidung unaufschiebbar. „Wir haben alles auf eine Karte gesetzt und unsere Jobs gekündigt. Die Doppelbelastung laugt dich körperlich und geistig aus.“ Zwei Monate später, quasi über Nacht nach dem Ausstrahlungstermin der Show, hatten sie 800 Kunden mehr.

Das Unternehmen wächst. Für derzeit 1921 „Gärtner“ aus ganz Österreich werden mehr als 4,5 Hektar beackert. Auf fünf Personen ist das Unternehmen angewachsen. In der Gartenhochsaison werden Praktikanten eingeschult. Zwei Tage braucht es, bis man den Acker vor Ort im Griff hat. Gießen, Biodüngergaben, Schneckenschutz, Erntezeitpunkt – all das wird online von Kunden in Auftrag gegeben und via Tablet auf dem echten Acker abgearbeitet. Bald soll es mehr Anbauflächen nahe Städten anderer Bundesländer geben, damit die Wege zu den Kunden kürzer werden.



Nach Holland hat das Unternehmen den Sprung bereits geschafft. In der Schweiz, in Tschechien und Slowenien stehen drei Franchisepartner in den Startlöchern, die Konzepte sollen mit April 2020 umgesetzt werden. Vor wenigen Wochen nun der neueste Streich – eine Ackerbox in Spittal. Ein 24-Stunden-Selbstbedienungsladen, so groß wie ein Autoabstellplatz, der von regionalen Anbietern bespielt wird. „Alle 160 Produkte kommen aus dem Umkreis von 50 Kilometer Luftlinie, bis auf den Kaffee aus Udine“, erklärt Raunig stolz. Der Bäcker bringt frische Semmeln, der Müller das Mehl. Das Konzept geht auf. Binnen fünf Wochen wurden rund 6000 Produkte verkauft. Schön, wenn aufgeht, was man gesät hat.