Im Death Valley, eine einsame Kreuzung, High Noon in der Wüste. 35 Grad. Die Luft flirrt über dem heißen Asphalt. Markus rogan macht sich bereit für seinen Einsatz. Er ist Mitglied eines österreichischen Teams, das an einem Staffellauf von Los Angeles nach Las Vegas teilnimmt. Die Strecke führt über 550 Kilometer – und an die persönlichen Grenzen.

Auch ihn, den Europameister, Weltmeister, Weltrekordhalter, zweifachen Olympiamedaillengewinner. Für den Spitzenschwimmer von einst ist das Laufen, noch dazu unter extremen Verhältnissen wie hier, ungewohntes Terrain. Das macht es interessant. Die spaßige Lockerheit der letzten Minuten ist einem Mix aus Anspannung und Vorfreude gewichen. Rogan atmet drei Mal tief durch. Der schrankartige Brustkorb füllt sich mit knochentrockener, 35  Grad heißer Luft. Es geht los. „Grenzen sehen, suchen, finden, scheitern, durchkommen. Das sind schon interessante Glücksformeln“, wird er dieses Lauf­abenteuer später beschreiben. Und auch das Leben meinen, den Sport im Besonderen, wobei das beim heute 37-Jährigen lange eins war.

Früh zählt der Wiener zu den besten Schwimmern seines Jahrgangs. Als die Familie wegen eines Jobs seines Stiefvaters in die USA übersiedelt, schafft Rogan den Sprung an die Elite­­universität Stanford. Die Uni, akademische Heimat von 22 lebenden Nobelpreisträgern und sportliches Zuhause von herausragenden College-Mannschaften, unter anderem im Fußball, Baseball, Basketball, Wasserball – und eben Schwimmen, bietet ein optimales Umfeld für die Karriere des jungen Profisportlers. Das ganze Leben dort ist auf eine Sache ausgerichtet, „was eigentlich verrückt ist, denn jeder normale Mensch hat 20, 30, 40 Aufgaben. Du aber hast diesen arroganten Luxus, dass du sagen kannst, alles andere ist wurscht“. Was nicht ganz stimmt. Denn die Prüfungsmodalitäten an der renommierten Uni sind sehr streng und werden penibel überwacht. „Fielen Prüfungen auf Wettkampftage an einem anderen Ort, wurde ein Prüfer hingeschickt, um die Tests auszugeben und ein Schummeln zu verhindern“, erinnert sich Rogan.

Markus Rogan war als Schwimmer Europameister, Weltmeister und Weltrekordhalter. Heute lebt der 37-Jährige als Psychotherapeut mit seiner Frau und zwei Söhnen in Los Angeles.
Markus Rogan war als Schwimmer Europameister, Weltmeister und Weltrekordhalter. Heute lebt der 37-Jährige als Psychotherapeut mit seiner Frau und zwei Söhnen in Los Angeles. © KK

Aber da ist noch etwas, was ihn damals die Karriereleiter nach oben schiebt: Angst. Aus ihr zieht er Kraft und Motivation. „Die Angst zu versagen oder nicht gut genug sein, die Angst, nie der Beste der Welt gewesen zu sein, hat mich sieben Jahre lang als Weltranglistenzweiter angetrieben, weiterzutrainieren. Sie war genau das, was mir immer geholfen hat, um 3:45 Uhr aufzustehen und um 4:30 Uhr ins Wasser zu springen.“ Diese Konsequenz über Hunderte Trainingsstunden und Tausende Trainingskilometer führt zu 34 Medaillen bei internationalen Großereignissen. Sie verschont aber nicht vor Niederlagen. Auch aus ihnen versucht er, Kraft zu schöpfen. „Es geht da­rum, die Schmerzen einer Niederlage genau zu spüren, um sie im Moment des Trainings mit den Trainingsschmerzen vergleichen zu können. Solange die Trainingsschmerzen geringer sind als die Niederlagenschmerzen, kann man problemlos weitertrainieren.“ Wenn es passt, bis zum Weltrekord und vier Olympischen Spielen. Und dann?

Was kommt, wenn die sportliche Karriere vorbei ist? Wie schwer ist es für ein hochgeföhntes Ego, wenn plötzlich Gegenwind das Image zerzaust? Wie schwer ist es, im Leben danach Fuß zu fassen? „Sehr schwer“, gesteht Rogan offen. Aus einer in Wien noch während der Schwimmkarriere gestarteten Ausbildung zum Banker wird nichts. „Markus“, fragt ihn dort eines Tages sein Chef, „du redest so viel mit den Kunden und denkst eigentlich nicht an die Bank. Bist du sicher, dass du im richtigen Job bist?“ Tatsächlich folgt eine berufliche Rollwende und die Rückkehr in die USA.

Aktuell  arbeitet  Markus  Rogan auch als Sportpsychologe beim israelischen Fußball- Nationalteam
Aktuell arbeitet Markus Rogan auch als Sportpsychologe beim israelischen Fußball- Nationalteam © ROBERT JAEGER

Als Schlüsselmoment nennt Rogan ein Treffen mit seinem damaligen Sportpsychologen, der ihn einen Korb voller Ziegelsteine durch den Garten tragen lässt. „Jeder Ziegelstein war Symbol für einen Stein, den ich mir selbst in den Weg lege – so hab ich es endlich verstanden und mir gleichzeitig gedacht: Den Job möchte ich auch einmal machen.“ Rogan startet eine Ausbildung zum Psychotherapeuten in Los Angeles. Was man bei so einer Ausbildung über sich selbst lernt? „All das, was man vorher nicht hören wollte.“
Wie man damit umgeht? „Am einfachsten, indem man das Studium abbricht und alle Psychologen zu aufdringlichen Pseudospiegeln erklärt“, scherzt Rogan. Oder? „Man versucht, sich mit behutsamer Vorsicht trotz seiner vielen und immer deutlicher werdenden Fehler selbst zu respektieren und vielleicht sogar zu lieben.“ Das sei etwas grundlegend anderes als Selbstverliebtheit, „die ja meist ein Schutz ist vor der Angst, in Wahrheit wertlos zu sein.“
Für Rogans Ego wird die Ausbildung zum nächsten Härtetest. „Im Labor an der UCLA mit 22-Jährigen, die meine Chefs waren, zu arbeiten, war kränkend und peinlich. Bis ich gemerkt habe, dass es um den Patienten geht und nicht um mich und meine Gefühle und Ängste.“ Besonders die Arbeit mit Heroinsüchtigen und Schwerdepressiven wirkt prägend. „Nichts erdet mich mehr als ein Patient mit schwerer Depression oder schwerer Angststörung, dem vollkommen wurscht ist, wer du bist. Da musst du wirklich aus dir heraus und ihn spüren, sehen, spiegeln und merkst schnell, wie unwichtig du selbst bist. Dieses Zuhören und dass es jetzt um wen anderen geht, das hab ich schwer lernen müssen“, erzählt Rogan von seinen ersten Berufserfahrungen als Psychotherapeut in einer Klinik für Jugendliche in Kalifornien.
Und er zieht eine überraschende Parallele: „Diese Jugendlichen aus zerrütteten sozialen Verhältnissen sind genau gleich wie die feinen Anwälte und Geschäftsleute, nur dass sie ehrlicher zu ihren Schwächen stehen und leider weniger effektive Fähigkeiten entwickelt haben, diese zu kaschieren.“