Eigentlich herrscht in diesen Tagen in der großen Werkstatt in der Alten Poststraße Hochbetrieb. Seit März befindet sich das studentische Motorsport-Team joanneum racing graz nämlich in der Manufacturing Phase, jener Phase, in der die Teile des Rennwagens gefertigt und später, bis zur Enthüllung des Rennwagens beim Roll-Out Ende April, zusammengebaut werden sollten.

2020 ist dies aber anders. Aufgrund von COVID-19 bleibt die Werkstätte des Racing Teams geschlossen - auch das Roll-Out wurde abgesagt. Und auch die Bewerbe, bei denen sich der Bolide im Sommer mit Teams von der ganzen Welt hätte messen sollen, wurden bereits offiziell abgesagt.

„2020 wird es keine Formula-Student-Saison geben“, konstatiert Sushama Chander, Studentin des Masterstudiengangs „Fahrzeugtechnik / Automotive Engineering“ und Teamleaderin von joanneum racing graz, Sushama Chander. Formula Student ist eine Reihe von Bewerben, in denen sich Racing Teams von Universitäten und Fachhochschulen in verschiedenen Disziplinen messen.

Teamleaderin Sushama Chander (re.) und Natascha Breitegger (li.), die PR-Leiterin von joanneum racing
Teamleaderin Sushama Chander (re.) und Natascha Breitegger (li.), die PR-Leiterin von joanneum racing © joanneum racing

Top-3 der Welt ist das Ziel

Dabei hatte sich das Racing Team der FH JOANNEUM in diesem Jahr hohe Ziele gesteckt: Nach den zwei Gesamtsiegen bei den Bewerben in Ungarn und Österreich und dem starken 14. Platz im World-Ranking in der vergangenen Saison, hätte 2020 der Sprung in die Top-3 der Weltrangliste gelingen sollen. Dass daraus nun heuer nichts wird, sorgt zwar für Ernüchterung im Team, im selben Atemzug nennt Sushama Chander aber die positiven Aspekte der Situation: „Normalerweise verfolgen wir einen sehr strengen Zeitplan, jetzt haben wir Zeit für andere Dinge: Derzeit stecken die Mitglieder des Teams viel Zeit in Entwicklungsarbeit, probieren neue Dinge aus. Wir versuchen, die Zeit bestmöglich zu nutzen.“

Aufwendige Entwicklungsarbeit

Und die Entwicklungsarbeit für einen Boliden aus dem Rennstall von joanneum racing graz ist enorm. Für die Fertigung des Monocoque, dem formgebenden CFK-Bauteil des Rennwagens, arbeiten 15 bis 20 Teammitglieder knapp sechs Wochen bei der CarboTech in Salzburg – und da sind die Planungen und Berechnungen noch gar nicht eingerechnet. „Abgesehen davon, dass das Gesamtfahrzeug irrsinnig komplex ist, gibt es Bauteile von Motor bis Getriebe, von Radaufhängung bis hin zur Aerodynamik, auf die wir besonders stolz sind. Als eines von ganz wenigen Teams haben wir ein eigens entwickeltes Getriebegehäuse aus CFK hergestellt – dafür beneiden uns einige Teams“, erzählt Sushama.

Teamleaderin Sushama Chander mit einem Teil des Teams
Teamleaderin Sushama Chander mit einem Teil des Teams © joanneum racing

Elektro-Prototyp schafft 140 km/h am Spielbergring

Bei joanneum racing graz wird zeitgleich an zwei Boliden gearbeitet. Während sich der Großteil des Teams auf den Verbrenner-Wagen, welcher bei den Bewerben an den Start gehen soll, konzentriert, gibt es sechs Teammitglieder, die nun bereits im dritten Jahr an einem elektrischen Prototyp, dem jre, arbeiten. Im Vorjahr gelang dem Team dabei ein Meilenstein: Nach der Jungfernfahrt im Mai war joanneum racing graz auch bei den E-Mobility-Play-Days am Spielberg vertreten.

Als der jre dann mit 140 km/h die Zielgerade entlang schoss, da staunten auch einige gestandene Motorsportprofis nicht schlecht. „E-Mobility spielt bei unserem Team auf jeden Fall eine große Rolle. Aktuell versuchen wir in alle Richtungen Know-how zu sammeln“, erklärt Sushama Chander. Ob und wann ein mit einem E-Boliden an den Bewerben von Formula Student teilgenommen werden kann, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch unklar. Und auch eine weitere Technologie macht vor den Studierenden im Racing Team nicht Halt: „Außerdem gibt es einige Teammitglieder, die sich im Zuge von Projektarbeiten mit dem Thema „Selbstfahrende Autos“ beschäftigen“, bestätigt die Teamleaderin. Auch wenn in diesen Tagen die Zukunft von joanneum racing graz einige Ungewissheiten birgt, so ist eines glasklar: Langweilig wird es sicher nicht.