Wenn Politiker sich auf das Volk beziehen, meinen Sie uns alle – wohl wissend, dass es nie eine übereinstimmende, völlig gleichförmige Meinung in einer großen Masse geben wird. Nichtsdestotrotz kommen in politischen Ansprachen die Bezüge zur Bevölkerung, zum  kleinen Mann, zum Bürger wie das Amen im Gebet. Wer ist aber dieser „Jedermann“, auf den so oft hingewiesen wird und der doch so schwer greifbar ist?

Anna Schober beschäftigt sich schon seit Längerem mit der Figur des „everybody“. Die Historikerin startete ein Forschungsprojekt an der Alpen-Adria-Universität, um das Phänomen des „kleinen Manns von der Straße“ aus kulturhistorischer Sicht zu beleuchten. „Obwohl diese Figur eine so grundsätzliche Funktion erfüllt, ist ihr Auftreten wissenschaftlich bislang kaum erforscht“, sagt Schober. Das soll sich nun ändern.

Der Schwerpunkt ihrer Untersuchungen wird auf der Erscheinung des „everybody“ in den visuellen Medien des 20. und 21. Jahrhunderts liegen. Als Professorin für visuelle Kultur am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft interessiert sie sich besonders für die Körperlichkeit und die Gesichter dieser Figuren, bei denen sie Parallelen zur christlichen Ikonenmalerei sowie zu Darstellungs-Traditionen des Zen-Buddhismus zieht.

Schober wird bei ihrem Projekt die Methoden der Genealogie und Diskursanalyse anwenden. Diese sind in den Feldern der Kulturgeschichte und Politikwissenschaften weit verbreitet. Kombiniert werden diese Methoden mit einer „kulturwissenschaftlich inspirierten Bildwissenschaft“, mit dem Ziel, eine Ikonografie des „Jedermannes“ zu erarbeiten.

Ikonografie bezeichnet die wissenschaftliche Deutung von Bildern. Dabei werden Symbole, Formensprachen und Inhalte interpretiert, die einen Schluss darauf zulassen, was hinter dem eigentlichen Bild steckt. „Im Projekt nehmen wir insbesondere jüngere Bildbeispiele seit etwa den 1960er-Jahren in den Blick, verorten diese Beispiele dann jedoch in einer längeren Überlieferungsgeschichte seit etwa dem 15. Jahrhundert. Dabei interessieren uns Beispiele aus verschiedenen europäischen Ländern und den USA sowie die transnationale Kraft, die everybody-Figuren in ihrer Geschichte entfalten“, sagt Schober.

Als Beispiel für so eine Figur dient die mittlerweile in unser aller Gedächtnis gebrannte Guy-Fawkes-Maske (siehe Titelbild), die durch die Occupy-Bewegung der letzten Jahre zu weltweiter Berühmtheit aufstieg. Dass der rebellische katholische Offizier aus dem 16. Jahrhundert noch einmal so aktuell werden konnte und die Protestkultur formte, erklärt sich laut Schober folgendermaßen: „Mit solchen ‚Jedermann‘-Figuren wie der Guy-Fawkes-Maske kreieren wir öffentliche Präsenz und Autorität für die eigene Position. Sie vermittelt zwischen uns und dem Publikum als Ganzem – wir können also ohne solche Gestalten gar nicht öffentlich kommunizieren.“ Noch bis März 2018 wird das mit 260.000 Euro geförderte Projekt an der AAU laufen.