Ihr aktuelles Forschungsprojekt beschäftigt sich mit einem dezentralen Social-Media-Ökosystem. Was ist das?
RADU PRODAN: Die Dezentralisierung in sozialen Medien spiegelt den Übergang von einer privaten unternehmenseigenen Plattform zu einer demokratisch gewählten und rechenschaftspflichtig vernetzten öffentlichen Plattform wider, in der jede soziale Einheit eine Interessengruppe ist. Ein Ökosystem, das all dies vereint, wird als dezentrales Social-Media-Ökosystem bezeichnet. Eine Analogie wäre die EU, die verschiedene, rechenschaftspflichtige und demokratisch gewählte Vertreter verschiedener Ländern zusammenbringt.

Welchen Nutzen hätten User von solch einem Ökosystem?
Der Nutzen ist die Kontrolle der persönlichen Daten durch den Benutzer. Einfach ausgedrückt, die Kontrolle der Daten liegt in Ihren Händen und nicht in denen eines Dritten wie Facebook.

Was gibt der Markt zurzeit her?
Das Aufkommen von dezentralisierten sozialen Medien hat die Aufmerksamkeit des Marktes auf sich gezogen. Sich dabei aber auf digitale Währungen wie Bitcoins oder auf Werbung konzentriert. Unser Ziel ist die Erforschung eines einheitlichen Social-Media-Ökosystems, das vielfältige und fragmentierte Bereiche von Carsharing bis zu Crowdsourcing-Journalismus zusammenbringt.

Was wollen Sie verändern?
Einer der größten negativen Trends in sozialen Medien sind Falschnachrichten, Trolling, aber auch unzählige andere Arten von schädlichen Inhalten oder Aktivitäten. Wir möchten dieses Problem lösen, jedoch mit den zugrunde liegenden Prinzipien eines zensurfreien Systems. Mit Facebook, Google, Twitter und Co. droht eine von der Regierung angeordnete Zensur, welche zu einer Veränderung führen kann, wie Benutzer Online-Inhalte konsumieren. In einem demokratischen System sollte man aber nicht als eine zentrale Behörde zensieren, sondern Benutzer darüber entscheiden lassen, indem sie eine auf Konsens beruhende Entscheidung treffen.

Welchen Stellenwert nehmen Social-Media-Plattformen heute ein und wie sollte deren Verantwortung der Gesellschaft gegenüber aussehen?
Gegenwärtig sind soziale Medien hauptsächlich auf Plattformen wie Facebook und Twitter beschränkt und sind im Allgemeinen ein Weg zur Selbstdarstellung. Weiters bieten diese Medien auch all denjenigen eine wichtige Stimme, die keine haben. Dieser Aspekt sollte aber mit angemessener Vorsicht behandelt werden, etwa wenn eine politische Ansicht ohne Überprüfung verbreitet wird, kann dies durchaus zu fatalen Unruhen führen. Social-Media-Plattformen sind zudem Schlüsseltechnologien für die Konnektivität der nächsten Generation. Die Verantwortung liegt in der Realisierung ihres Potenzials zur Gestaltung und Mobilisierung von Kommunikationsmustern, Praktiken des Austauschs und des Geschäfts, der Schaffung, des Lernens und des Erwerbs von Wissen.

Was brauchen wir statt der bekannten Netzwerke?
Wir brauchen ein Projekt wie ARTICONF, welches ein soziales Medium mit, von und für Benutzer bietet.

An Ihrem 4,2 Millionen Euro schweren Projekt sind neben Österreich die Niederlande, Großbritannien, Mazedonien, Portugal, Spanien und Norwegen beteiligt. Um was geht es bei „ARTICONF“?
ARTICONF steht für smartes Social-Media-Ökosystem in einer durch Blockchain verbundenen Umgebung. Das Ziel ist die Erforschung und Entwicklung von neuen vertrauenswürdigen, belastbaren und global nachhaltigen dezentralen Social-Media-Diensten. Wir befassen uns mit Fragen des Vertrauens, der Zeitkritikalität und der Demokratisierung einer neuen Generation von verbundenen Infrastrukturen, um die Anforderungen an Privatsphäre, Robustheit und Autonomie zu erfüllen, die proprietäre Social-Media-Plattformen bislang nicht erfüllen.