Da war ganz schön was los in der Zeit um die Jahrhundertwende von 1500. Christoph Kolumbus hat ein paar Jahre zuvor den amerikanischen Kontinent wiederentdeckt, ein paar Jahre später beginnt die Errichtung des Petersdoms in Rom. „In dieser Zeit ist einiges in Bewegung, neue Schulen entstehen, Literatur für Laien wird geschrieben. Das ist eine spannende Phase, aus der sich viele Erkenntnisse gewinnen lassen“, sagt Angelika Kemper. Die Literaturwissenschaftlerin hat die Entstehung und Weitergabe von Wissen im Spätmittelalter untersucht und sich dabei durch eine Unmenge an historischen Handschriften und Druckwerken vorgearbeitet: „Das brachte großen Aufwand mit sich, ich musste in Bibliotheken recherchieren und schwer zugängliche Dokumente aufstöbern. Die Forschung war äußerst zeitintensiv, vor allem auch, weil die alten Handschriften schwer zu lesen sind.“ Anhand der analysierten Texte hat sie thematische Schwerpunkte herausgefiltert und festgestellt, wie im Spätmittelalter mit Wissensinhalten und Werten umgegangen wurde.
Überrascht hat die Forscherin dabei, wie reichhaltig die damalige Erzählliteratur an Wissensinhalten und Problembewusstsein war: „Diese Texte, die sich an Laien außerhalb des Klerus und der frühen Universitäten richteten, gehen mit Wahrheits- und Tugendvorstellungen sehr differenziert um. Die Literatur der gebildeten Schicht beantwortete diese Wertefragen hingegen meist sehr einheitlich mit dem Verweis auf höhere Autoritäten“, sagt Kemper. Ihr Fazit lautet also, dass das verbreitete Bild vom „finsteren Mittelalter“ nicht zutreffend sei – zumindest im Spätmittelalter komme beim Wissen viel in Bewegung, der Wissensstand der Bevölkerung wäre vielfältiger gewesen, als man heute denken möge.
Aus dieser Beobachtung, wie frühere Gesellschaften mit Wissen umgegangen sind, zieht Kemper Parallelen zum heutigen Umgang mit Wissen: „Ordnung spielt dabei eine große Rolle, damals wie heute musste man filtern, was wichtig ist. Es ist ein zeitloses Kernproblem, zu entscheiden, was wichtiges Wissen ist und was unwichtiges. Damit haben wir auch heute unsere Schwierigkeiten.“