Was bedeutet Industrie 4.0 für den arbeitenden Menschen?
Wilhelm Bauer: Sie bringt ihm Chancen und Risiken zugleich. Chancen, weil durch die Digitalisierung unserer physischen Welt bzw. der Arbeitswelt viele neue, hochqualifizierte Arbeitsfelder und Tätigkeiten entstehen. Aber selbstverständlich hat sie auch das Potenzial, Arbeitsplätze zu ersetzen. Der Mensch in der Industrie 4.0 wird zunehmend koordinierende, steuernde und Entscheidungen treffende Aufgaben haben. Folglich erwarte ich mehr Jobs im hochqualifizierten Bereich, gleichbleibende im unteren, aber wahrscheinlich weniger Jobs im mittleren Ausbildungssegment.

Wie verändern sich mit ihr unsere Arbeitssys­teme und Arbeitsprozesse?
Bauer: Mensch und Technik kommen in eine neue Form der Kooperation. Roboter werden dem Menschen weitere Tätigkeiten abnehmen, vor allem jene, die mit schwerer körperlicher Arbeit verbunden sind. Die Prozesse an sich werden, wie wir es nennen, immer agiler. Sie werden schneller ablaufen, flexibler und anpassungsfähiger werden. Die Zeit, in der man jahrelang mit stabilen, nahezu unveränderlichen Prozessen arbeitete, wird vorbei sein. Und wir werden in wandlungsfähigen, komplett modularen Fabriken, die sich rasch an neue Bedürfnisse bzw. Bestellungen anpassen können, arbeiten. Man könnte das „Plug & Work“ nennen.

Welche Rolle übernimmt der Mensch und welche der Roboter?
Bauer: Der Roboter übernimmt alle schweren, unangenehmen Tätigkeiten. Und all jene, die höchste Präzision brauchen. Der Mensch hat den kreativen, koordinierenden und steuernden Part.

Und der sich selbst steuernde, sich selbst weiterentwickelnde Roboter?
Bauer: Dieses Zeitalter sehe ich noch in weiter Ferne. Aber keine Frage: Roboter der Zukunft werden sich mit Hilfe ihrer Sensoren optimieren und anpassen und in einem vom Menschen definierten Rahmen „intelligenter“ werden.

Welche Unternehmensbereiche werden von der Industrie 4.0 beeinflusst?
Bauer: Die Veränderungen machen vor keinem Bereich halt, egal ob Produktion, Entwicklung, Verwaltung oder Logistik.

Und welche Berufe werden in dieser neuen, digitalisierten Arbeitswelt der Zukunft die am meisten gefragten sein?
Bauer: Spezialisten für Datenverarbeitung, -auswertung und -management, IT-Experten wie auch Mathematiker und Informatiker, die die entsprechenden Algorithmen entwickeln. Der Bedarf an diesen Experten ist bereits heute sehr groß – und es gibt schon spürbare Engpässe auf dem Arbeitsmarkt. Diese Entwicklung ist einerseits eine gesellschaftliche Herausforderung, wir müssen sie in unseren Ausbildungssys­temen berücksichtigen. Aber auch für die Unternehmen selbst, die sich so manche ihrer Experten auch selbst ausbilden werden müssen.

Welche Rolle spielt das unternehmerische Wissensmanagement?
Bauer: Eine entscheidende. Denn auch das Wissensmanagement muss 4.0 werden. Es wird digitale Vorhersagemodelle und ­Simulationen für gesamte Wertschöpfungsketten geben. Um die dabei anfallenden Big Data sauber sammeln, abspeichern und analysieren zu können, brauchen wir entsprechende Infrastrukturen. Denn daraus werden die Services und Dienstleis­tungen der Zukunft entwickelt werden. Dieses Wissensmanagement wird die Essenz eines Unternehmens sein.

Besteht die Gefahr, dass die Systeme so komplex werden, dass der Mensch sie gar nicht mehr erfassen kann?
Bauer: Die Komplexität hat in den vergangenen 100 Jahren stetig zugenommen – und sie wird es auch weiterhin tun. Aber ich bin überzeugt, dass der Mensch allein der Treiber der Technik bleiben und nicht Sklave seiner Maschinen sein wird.

Wie werden wir in 20 Jahren arbeiten?
Bauer: Die digitale Kommunikation zwischen Mensch und Mensch, Mensch und Maschine sowie Maschine und Maschine wird enorm zunehmen. Nicht zuletzt stellt sich für mich auch die Frage: Wie viel Arbeit werden wir noch haben? Meine Antwort ist – so viel wir haben wollen. Wenn wir weniger arbeiten wollen, wird es möglich sein. Und Arbeit wird weniger Mühsal sein, und das ist ja nichts Schlechtes.