Noch drei Gipfel bis zur Unsterblichkeit. Die Oberösterreicherin Gerlinde Kaltenbrunner hat die Chance in die Geschichte einzugehen. Im Mai 2008 stand sie als erste Frau ohne Sauerstoffgerät auf dem elften von 14 Achttausendern. Zwei Damen sind ihr mittlerweile auf den Fersen. Wer Zweiter ist, hat schon verloren - wie jener polnische Bergsteiger, der 1978 den Gipfel des Mount Everest betrat - kurz nach Reinhold Messner. Doch die Jagd nach dem Ruhm bedeutet Gerlinde Kaltenbrunner nichts. "Ob ich nun Erste oder Dritte bin, ist mir vollkommen egal." Oben zu stehen sei nur das Tüpfelchen auf dem i, wie sie sagt. Essenzieller, in einer ganzen Reihe intensiver Momente bis zum Ziel Erfüllung zu finden.

Schuld war der Gemeindepfarrer, der Sie als Kind auf den Berg mitnahm. War Ihr Weg, hauptberuflich Bergsteigerin zu werden, vorgezeichnet?
GERLINDE KALTENBRUNNER: Eigentlich nicht. Ich habe als Krankenschwester gearbeitet. Das Bergsteigen ist einfach immer mehr zum Mittelpunkt meines Lebens geworden.

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus, wenn Sie nicht auf Expedition sind?
KALTENBRUNNER: Training ist mein Beruf. Ich sehe das allerdings nicht als Arbeit, der Körper verlangt das sowieso. An Tagen wie diesen gehe ich rund drei Stunden laufen, kommt immer darauf an, wie ich mich fühle. Am Abend geht's drei Stunden zum Eisklettern. Sieben oder acht Tage wird durchtrainiert, etwa fünf bis acht Stunden pro Tag, dann baue ich eine Pause ein.

Wie bereiten Sie sich auf die nächste Expedition im Frühling vor?
KALTENBRUNNER: Jede Art von Training mache ich mit vollem Einsatz. Wahrscheinlich ist meine Motivation deshalb so stark, weil ich das Ziel klar im Kopf habe. Man muss sich auf alles vorbereiten, auf die Entbehrungen, die Kälte. Wichtig ist, dass der Kopf mit dabei ist, und ich mir keinen Druck von außen auferlege, sondern dass alles meine eigene Entscheidung bleibt.

Beim ersten Versuch, 2007 auf den Daulaghiri I. zu gelangen, starben zwei ihrer Freunde in einer Lawine, Sie selbst konnten sich nur durch Glück befreien. Warum wollten Sie es heuer noch einmal wissen?
KALTENBRUNNER: Normalerweise habe ich mein Ritual - wenn ich von einem Berg herunterkomme, verabschiede ich mich auf meine Weise von ihm. Als ich Ricardo und Santi nicht mehr helfen konnte, wollte nur mehr weg von dort. Mir war einfach wichtig aufzuarbeiten, was im Vorjahr passiert ist, aber auch, zu versuchen, es diesmal besser zu machen.

Umgemünzt auf Unternehmen - was braucht es nach dem Absturz, um wieder nach oben zu kommen?
KALTENBRUNNER: Auch in der Krise muss man mit Herz und Leidenschaft bei der Sache sein. Das Um und Auf ist, nicht zu jammern. Sich zu verabschieden von dem, was schiefgelaufen ist und daraus zu lernen. Es gibt immer wieder Krisen, aber die können gleichzeitig eine neue Chance sein. Ich habe mich beim zweiten Mal voll darauf eingelassen, in dem Bewusstsein, dass das, was kommt, nicht leicht wird. Jetzt ist es für mich abgeschlossen.

Was würden sie einem Unternehmen raten, das gerade abzustürzen droht?
KALTENBRUNNER: Ich glaube, es ist das Wichtigste, nach vorne zu blicken. Es bringt nichts, sich hinein zu steigern und aus blinder Panik heraus zu reagieren, das ist eigentlich die größte Gefahr. Es wird wieder einmal einen Weg geben, auf dem es berauf geht. Der kommt aber nur, wenn man konzentriert durch die Krise taucht, den Kopf bewahrt und nicht alles hinschmeisst.

Was ist das Wichtigste, wenn man ein hohes Risiko eingeht - also sich immer wieder in die Todeszone über 7000 Meter wagt?
KALTENBRUNNER: Ich habe mich meinem Ziel immer mit langsamen Schritten genähert. Wichtig ist für mich, in meinen Körper hineinzuhorchen, zu spüren, was geht und was nicht mehr. Wenn das gelingt, kann man sich auch auf 8000 Meter noch einigermaßen gut bewegen und organisieren.

Sollten wir alle ein bisschen mehr in uns hineinhören?
KALTENBRUNNER: Wenn man immer auf sich hören würde, würden viele Probleme nicht aufkommen.

Wie schafft man den Spagat zwischen Gier und Vernunft, wenn der Gipfel zum Greifen nahe ist und die Wetteraussichten schlecht sind?
KALTENBRUNNER: Man muss kühlen Kopf bewahren, seine Grenzen kennen, auch wenn es Verzicht bedeutet. Das ist der Punkt, an dem viele scheitern.

Wie fühlt es sich an, ganz oben zu stehen?
KALTENBRUNNER: Nach langer Vorbereitung - logistisch, mental, körperlich - irgendwann die letzten Schritte zum höchsten Punkt zu machen, ist immer mit großer Demut verbunden und es läuft ruhig und leise ab. Lange ist man nicht da oben - im Hinterkopf hat man, dass der Abstieg ebenso anstrengend sein wird wie der Aufstieg.