Man hat's ja immer schon gewusst: Die Chefin ist eine egozentrische Karrieristin, der Kollege ein unzuverlässiger Hallodri. Gutes Betriebsklima? Niemals! Die Büroatmosphäre ist argwöhnisch, Konflikte leise am Schwelen.

Urteile.Man möchte nicht glauben, dass heimliche Urteile, die einmal über berufliche Mitstreiter gefällt wurden, ganze Abteilungen lahm legen können. "Mit vorgefassten Urteilen wird oft der Kontakt zu einem Menschen langfristig verwirkt", meint Elisabeth Hubner, Trainerin für "Gewaltfreie Kommunikation" (GfK) in Graz. Allerdings wirft ihre Trainer-Kollegin Gabriele Gößnitzer aus Kärnten ein: "Wir sind es gewohnt, in Urteilen zu denken und zu sprechen." GfK setzt exakt an diesem wunden Punkt im Miteinander an und verheißt Besserung: Mit dem simplen Vier-Schritte-Programm, das aus argwöhnischen Kollegen wieder offene, aufrichtige Menschen macht. Vorausgesetzt, man geht so vor:

Schritt 1: Beobachtung ohne Bewertung. Bleiben wir beim vermeintlich unzuverlässigen Hallodri. Er verspätet sich beim der Acht-Uhr-Besprechung wie gewohnt um zehn Minuten. Geübte Urteilsfäller würden augenrollend seufzen: "Meine Güte, der kommt dauernd zu spät. Typisch!" Gewaltfreie Kommunikatoren halten möglichst nüchtern nur einmal die Tatsachen fest: "Es ist zehn nach acht, als der Kollege zur Besprechung erscheint. Ich habe auf ihn gewartet."

Schritt 2: Gefühl benennen. Kurz einmal hineinhören und hinterfragen: Was löst die Verspätung in mir aus. Irritation? Wut? Ärger? Die eigenen Emotionen aktiv bemerken und benennen zu können ist ein wesentlicher Schritt. Gößnitzer: "Daraus kann ich ableiten, was ich brauche und eine Strategie finden, um das zu erreichen." Nur: In der Arbeitswelt ist dieses Bewusstsein über eigene Emotionen in der Regel ausgeblendet. Zu Unrecht. "Gefühle sind wie die Warnleuchte auf der Benzinanzeige. Mit dem Auto fährt man dann zur Tankstelle, aber im Umgang mit anderen wird so getan, als wär' nix", so Gößnitzer.

Schritt 3: Bedürfnis formulieren. Im Fall des unpünktlichen Mitarbeiters wäre dies etwa: "Ich würde mich gerne auf Sie verlassen können. Ich fühle mich durch Ihr Verhalten aber verunsichert. Und es geht mir auch um die Fairness im Team." Laut Elisabeth Hubner stehen mit dieser Ausdrucksweise die Chancen gut, beim angesprochenen Mitarbeiter auf Verständnis zu stoßen: "Was pünktlich und unpünktlich ist, darüber kann es unterschiedliche Auffassungen geben. Aber den Wunsch nach Verlässlichkeit und Sicherheit kennt dieser Mitarbeiter wahrscheinlich auch aus dem eigenen Leben." Dass er sich auf das Gespräch einlässt, ist zu erwarten.

Schritt 4: Eine Bitte artikulieren. Und zwar wirklich als Bitte und nicht - wie üblich - als Forderung. Zum Beispiel: "Kannst du mir sagen, warum du so spät dran bist?" Und nachdem der Kollege Gelegenheit hatte, seine Unpünktlichkeit zu argumentieren: "Kannst du in Zukunft bitte Bescheid geben, wenn du später kommst bzw. versuchen, pünktlich zu sein?".

Auseinandersetzung. Eine Frage zuletzt: Läuft man mit dieser Ausdrucksweise nicht Gefahr, unterbuttert zu werden? "Ganz im Gegenteil", widerspricht Hubner, "durch die klare Kommunikation auf Augenhöhe wird es in vielen Unternehmen erst möglich, Konflikte anzusprechen." Auch Gößnitzer unterstreicht: "Gewaltfreie Kommunikation heißt sicher nicht, immer lieb und nett zu sein. Es setzt Bereitschaft voraus, sich mit sich selbst und anderen aktiv auseinander zu setzen. Nur geht das in dem Fall ohne Verletzungen." So gesehen - jedesmal ein Kunststück.