Mit 16 war Ihre Tochter Julia ein Jahr lang allein in China, Sohn Michael in Lateinamerika - hatten Sie Angst um Ihre Kinder?

JOSEF ZOTTER: Wenn du am Flughafen stehst und deine Kinder fliegen weg, holt dich der Teufel. Aber sie wollten das unbedingt machen. Wir haben sie als Kinder weggehen lassen und erwachsene Menschen zurückbekommen. Als wir nach drei Monaten telefoniert haben, hat Julia gesagt: "Wenn ich Glück habe, bekomme ich sogar einen eigenen Kasten." Hätte ich das am Anfang gewusst, ich hätte sie sofort zurückgeholt.

JULIA ZOTTER: Ich habe mit meiner Gastschwester in einem Bett geschlafen. Es gab eine öffentliche Dusche, in der wir uns mit 30 anderen Frauen gewaschen haben. Aber man braucht so wenig - ich war sehr glücklich in China. Und ich hatte das Glück, dass meine Gastfamilie in Xi'an kein Wort Englisch gesprochen hat.

JOSEF: Gerade durch das Loslassen ist man wahrscheinlich noch mehr verbunden.

Wie gibt man seinen Kindern Werte mit auf den Weg?

JOSEF: Man lebt sie vor. Die meisten Kinder würden sich vermutlich denken "Der depperte Alte", aber unsere Kinder sind vom Unternehmen begeistert. Das ist ein Glücksfall, denn wir haben harte Zeiten durchlebt, in denen wir nicht gewusst haben, wie wir unsere Lebensmittel einkaufen sollen. Das hat uns als Familie zusammengeschweißt, aber in ihnen auch das Bewusstsein geweckt, dass man behutsam mit den Ressourcen umgehen sollte.

War von Anfang an klar, dass die Schoko-Nachfolge aus der Familie kommt?

JULIA: Gar nicht. Als ich 14 war, wollte ich Astronautin werden.

JOSEF: Wir wollten ihr ein Praktikum bei der Nasa verschaffen.

JULIA: Ich habe nie gehört: "Du musst" oder "Du wirst das nicht schaffen". Am Ende bin ich selber auf die Schokolade gekommen.

Ist es schwer, in die Fußstapfen eines kreativen Vaters zu treten?

JULIA: Für mich gab es nie den Punkt, an dem ich mich hätte ändern müssen. Ich bilde mir auch nicht ein, dass ich mir eine Glatze rasiere (Anm.: Blick auf den Vater), und dann läuft das in China schon. Ich habe vom Papa übernommen, dass immer alles geht. Das hat er uns gut vorgelebt.

JOSEF: Es schaut immer so aus, als wäre nur ich der Kreative. In Wahrheit inspirieren wir uns gegenseitig. Wir haben alle unseren Schwerpunkt. Julia ist vom Typ her wie ich - die Kreative, Chaotische. Mein Sohn Michael ist wie meine Frau - kalkulieren, hinterfragen, organisieren.

JULIA: Ein guter Gegenpol.

JOSEF: Nur so funktioniert es. Man kann nicht beides sein.

Ab März werden Sie den Zotter-Flagshipstore mit rund 40 Mitarbeitern in Schanghai leiten - mit 25 frisch von der Uni weg. Haben Sie Angst vor dem Versagen?

JULIA: Es ist eine große Verantwortung, aber mein Bruder und ich sind nicht so erzogen worden, Angst zu haben. Wenn man sich ständig vor Dingen fürchtet, macht es ja keinen Spaß mehr. Schanghai ist für mich ideal, weil ich im verlängerten Arm der Firma etwas Eigenes bewegen kann.

Sie haben Internationale BWL studiert.

JULIA: Nur kurz, ich konnte mit der an der Uni vermittelten Führungstheorie nicht viel anfangen.

JOSEF: Wenn ich Produktentwicklung so anginge wie auf der Uni, würde ich vor lauter Sicherheit, Angst, Genauigkeit, Evaluierung und Marktforschung zwei Jahre für ein Produkt brauchen. Da sind wir doch schon längst gestorben. Wir arbeiten da gegen jedes Marketingprinzip.

Wo haben Sie denn nun Unternehmensführung für Schanghai gelernt - abgesehen vom Crashkurs in der Firma Zotter?

JULIA: Ich bin im Unternehmen aufgewachsen, das alles ist für mich wie ein lebenslanges Studium. Mein Bruder und ich sind die einzigen Mitarbeiter, die überall gearbeitet haben - vom Stallausmisten im Tiergarten bis zur Schoko-Produktion. Keiner sagt: "Komm, wir machen unsere Strategie und dann gehen wir heim."

JOSEF: Es gibt Leute, die am Freitag unglücklich sind, weil sie um 17 Uhr einen Termin haben. Danach hetzen sie raus, fahren 40 Kilometer mit dem Rad - zum "Ausgleich". Da renne ich lieber im Unternehmen ein paar Runden.

JULIA: Es gibt noch kein Geheimrezept für Unternehmensführung. Wenn man etwas erreichen will, muss man das tun, was man gerne macht, und dahinterstehen.

Wo könnten Ihrer Meinung nach Unternehmen den Hebel bei den Mitarbeitern ansetzen?

JULIA: Man muss die Leute genau da einsetzen, wo sie sich wohlfühlen und wo sie am besten sind.

JOSEF: Das ist die größte Kunst. Man kann als Unternehmer nicht alles wissen. Wenn jemand gern den Raum pflegt, weil er jede Spinnwebe sieht, ist er als Raumpfleger perfekt fürs Unternehmen. Ich bin eben für die Entwicklung wichtig, sitze mitten in der Produktion. Falsch wäre, würde ich weit weg sitzen und mich nur an Zahlen orientieren.

Sie führen ein Unternehmen mit rund 150 Mitarbeitern - kennen Sie noch jeden persönlich?

JOSEF: In meinem obersten Ordner liegt die Mitarbeiterliste. Die schaue ich mir jeden Tag zweimal an und lerne sie. Die persönliche Ansprache der Mitarbeiter ist das Um und Auf. Man kann keine Maschine wertschätzen, die kauft und finanziert man, aber einen Mitarbeiter kauft und finanziert man nicht. Die Frage ist, ob Wirtschaft für ein paar, die reich werden, ist, oder für die Gesellschaft? Ich bin für Letzteres.

Noch vor Kurzem war China die Werkbank Europas. Wie lässt sich Ihre Philosophie die Mitarbeiter betreffend in dem Land umsetzen?

JULIA: Den Gedanken der Mitarbeiterwertschätzung tragen wir nach China wie auch den Fair-Trade-Gedanken und legen ihn einmal als Samenkorn ab. Vielleicht entwickelt es sich weiter. Wir wollen ja kein chinesischer Zotter werden. Das hat nichts mit Billigproduktion zu tun, produziert wird in der Steiermark.

JOSEF: Wenn der Planet im Sinne der Gleichstellung einmal global funktioniert, sind wir ein Stück weiter. Aber das dauert vermutlich noch zehn Generationen.

JULIA: Wir fangen damit an, für die Mitarbeiter zu kochen. Alle werden zu Mittag an einem Tisch sitzen. Abzuarbeiten, was am Plan steht, ist nicht in unserem Sinn. Wir werden zusammenarbeiten, es wird Jobrochaden geben.

Was unterscheidet das Schanghai-Theater von der Steiermark?

JULIA: Zotter wird individueller und wechselhafter sein als in Österreich. Wir könnten einen Livestream in die Produktion legen. Auf Facebook hatten wir nach drei Wochen 2000 Freunde.

JOSEF: Ich habe zwei Jahre gebraucht, bis es so viele waren. Das Prinzip Facebook haben mir meine Kinder beigebracht. Heute haben wir 20.000 Fans. Wenn ich das verschlafen hätte!

Was, wenn die Chinesen vom Original abkupfern?

JOSEF: Wer kopiert, ist Zweiter.

JULIA: Wir verbringen keine Woche damit, uns zu fürchten. Wir machen etwas Neues.

JOSEF: In Wahrheit spornt es dich nur an, wo würden wir leben, wäre alles ein Patent?

Rund vier Millionen Euro werden in Schanghai investiert. Was, wenn am Ende des Jahres einmal kein Cent mehr überbleibt?

JOSEF: Das ist der Vorteil eines Familienunternehmens. Wir setzen uns zu Hause hin und sagen: "Das letzte Jahr war kein Gewinn. Na und? Ein bisserl was haben wir in der Schatulle." Muss Wirtschaft immer wachsen?