Als Georg Friedrich Händel mit sieben Jahren heimlich Orgel spielte, war das einzige Klatschen für den später berühmten Komponisten die Ohrfeige seines Vaters. Der riet ihm, er soll "besser was Gescheites" lernen wie Anwalt. Wie war denn das bei Ihnen?

MICHAEL HOFSTETTER: Genau umgekehrt. Mein Vater sagte zu mir: "Du darfst alles werden, nur nicht Jurist!" Er war nämlich selber einer und meinte, dazu bräuchte man Ellbogen, um sich durchzusetzen, und die hätte ich nicht.

Ellbogen und Arme brauchen Sie dennoch, aber ganz anders: Für ein Kind ist der Traumberuf Dirigent nicht selbstverständlich, oder?

HOFSTETTER: Für mich war er das schon, spätestens ab dem Zeitpunkt, als ich meine erste Oper hörte, Mozarts "Zauberflöte", die mich so faszinierte, dass ich unbedingt einmal dirigieren wollte. Meine Initialzündung für die Musik kam aber schon mit fünf, als meine Kindergärtnerin Klavier spielte. Das wollte ich auch, und als mich ein Klavierlehrer testete, sagte er zu meinen Eltern: "Der ist hochmusikalisch, den können S' gleich dalassen." In der Schule machten wir eine Orgelbesichtigung, und auch dieses Instrument hat mich so begeistert, dass ich es zu erlernen begann.

Und der Sprung zum Dirigieren?

HOFSTETTER: Kam für mich mit 14, als mich ein Pfarrer aus unserem Nachbardorf am Ammersee vor Weihnachten anrief, er bräuchte dringend einen Organisten. Ich zögerte, weil ich erst ein halbes Jahr spielte und nicht einmal den Liturgieablauf kannte. Aber er beruhigte mich: "Des mach ma scho!" Es hat so wunderbar funktioniert, dass mich der Pfarrer gleich auch als Kirchenchorleiter vorschlug. Nach der Messe bat er all jene sitzen zu bleiben, die mitsingen möchten. Da hatten wir plötzlich einen 30-köpfigen Chor, und das in einem Dorf mit nur 300 Einwohnern (lacht)! Drei Jahre durfte ich ihn leiten.

Bei vielen Profimusikern erfolgt der Einstieg in die Musik über das Singen und das Chorsingen.

HOFSTETTER: Ja, bei uns in der Familie wurde auch oft gesungen. Und im Chor kommt noch verstärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl hinzu. Es ist ja medizinisch bewiesen, dass die Herzen beim gemeinsamen Musizieren im selben Rhythmus schlagen.

Wann wussten Sie eigentlich, dass Ihr Hobby zu Ihrem echten Beruf werden könnte?

HOFSTETTER: Vor dem Studium. Das Dirigieren war für mich eine innere Gewissheit, wie Atmen, wie ein Lebensmittel. Ich hatte dabei so ein natürliches Gefühl wie andere beim Fußballspielen. Andererseits kamen schon auch Zweifel auf, ob das tatsächlich das Richtige für mich ist.

Wie äußerten sich diese?

HOFSTETTER: Indem ich zunächst zwei Jahre Medizin studierte, um dann vor lauter "Heimweh" nach der Musik doch auf die Studien in Klavier, Orgel und Dirigieren umzuschwenken. Auch wenn es in unserer Zeit ja fast nicht mehr erlaubt ist: Ich plädiere seit damals für Umwege, denn es ist wichtig, sich Zeit zu nehmen, um die richtigen Ziele zu finden.

Wie wichtig war Ihnen das, was Sie an der Universität lernten?

HOFSTETTER: Oft merkt man erst später, wie hilfreich die Theorie ist, mit der man sich als Student vielleicht zu wenig beschäftigte. Aber das noch Wesentlichere für mich war, dass ich schon während des Studiums mit einem kleinen Tourneetheater musizieren konnte, das rund um München in kleineren Städten Operetten und leichte Opern aufführte. Was Besseres als diese Praxis hätte mir gar nicht passieren können. Außerdem hört man ja nie auf zu lernen, und je älter man wird, desto feiner, schöner, sensibler möchte man musizieren.

Für den Laien ist der Dirigent "der Fuchtler da vorne mit dem Staberl". Was ist das Geheimnis der Arbeit mit einem Orchester?

HOFSTETTER: Dass man die Musik tief in sich trägt und das, was man hört und empfindet, auf die Musiker überträgt - mit den Händen, den Augen, mit dem Denken und Fühlen, mit seiner Ausstrahlung, mit Worten und Bildern. Im Idealfall wird das Orchester zum Instrument des Dirigenten.

Und wenn's nicht funktioniert?

HOFSTETTER: Kriegt man Schweißperlen auf der Stirn, auch mit meiner Erfahrung noch. Früher tat ich mir jedoch schwerer, wenn etwas missglückte. Aber wie bei allem im Leben: Es kann nicht immer 100-prozentig klappen.

Der große Dirigent Herbert von Karajan behauptete: "Wer alle Ziele erreicht, hat sie zu wenig hochgesteckt." Wie sehen Sie das?

HOFSTETTER: Musik zu machen, gerade in der Oper, ist ein Gesamtkunstwerk, das fordernd, aber auch beglückend ist. Man geht mit einem großen Team auf Reisen, und der Dirigent entscheidet als Kapitän, wo es hingeht. Es kann halt nicht jeden Abend der Glücksstern strahlen. Andererseits lernt man auch aus Fehlern und hat jederzeit die Chance, es beim nächsten Mal besser zu machen. Wie der deutsche Fußball-Nationaltrainer Sepp Herberger einst richtig sagte: "Nach dem Spiel ist vor dem Spiel."