Im Rahmen des Projekts Vordenken für Osttirol lud das Regionsmanagement Osttirol (RMO) am Dienstagabend zu einem Vortrags- und Diskussionsabend in die RGO Arena in Lienz ein. Der renommierte Alpenforscher Werner Bätzing glaubt, Osttirol kann - der Globalisierung zum Trotz - auch in Zukunft ein Ort guten Lebens sein. Als Schlüssel dazu sieht er die kluge Nutzung endogener und exogener Potentiale, die kulturelle Lebendigkeit der Region sowie eine echte Gleichberechtigung der Stadt Lienz und der Seitentäler.

Die ausgeprägte inneralpine Lage abseits der großen Verkehrsachsen sei in der globalisierten Welt „im klassischen Denken“ zunächst negativ zu bewerten, erklärt Bätzing den zahlreichen Zuhörern. Gleichzeitig biete sie durch einen "Distanzschutz" aber große Chancen. "Die Abgeschiedenheit hat auch den Vorteil, dass mehr Raum für die eigene Entwicklung vorhanden ist", skizziert der Geograf seine Vision für Osttirol. Ein stärkeres Selbstbewusstsein, ein Bekenntnis zur kulturellen Identität sowie die gleichberechtigte Partnerschaft zwischen der Bezirkshauptstadt Lienz und den Seitentälern sieht er als Schlüssel, um die dezentrale Region Osttirol als Lebensraum zu stärken und den Bevölkerungsrückgang in den Seitentälern zu verhindern.
Bätzing ist emeritierter Professor für Kulturgeografie des Instituts für Geographie der Universität Erlangen-Nürnberg. Er beschäftigt sich seit mehr als 40 Jahren mit dem Alpenraum zwischen Wien und Nizza. Seine Arbeit zeichnet sich durch einen integrativen Forschungsansatz aus, in dem Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt gleichermaßen berücksichtigt werden.

Osttirol als charakteristische und attraktive Alpenregion, die weder von Entsiedlung, noch von Verstädterung und Massentourismus geprägt ist, so formuliert Bätzing den Leitgedanken für Osttirol. Dafür sieht der Bätzing verschiedene Ansatzpunkte.

Produkte die aus den Ressourcen der Region geschaffen werden, müssen nach Meinung des Kulturgeografen aufgewertet werden. Zum Beispiel durch die Konzentration auf hochwertige, veredelte Qualitätsprodukte aus der Landwirtschaft. Die Zielgruppen für solche Produkte sind laut Bätzing nicht nur Einheimische und Touristen, sondern auch "benachbarte" Alpenstädte wie etwa Innsbruck oder Metropolregionen am Alpenrand.

Die konsequente Angebotsentwicklung im Tourismus, basierend auf den vorhandenen Potentialen der intakten Natur- und Kulturlandschaft sieht der Experte als Gebot der Stunde. Derzeit liege der Fokus vor allem im alpinen Bereich, wo nur eine kurze touristische Sommersaison möglich ist. Daher regt er an, das Angebot an Kulturwanderwegen, beispielsweise von Dorf zu Dorf, auszubauen und mit einem kulinarischen Angebot zu verknüpfen, um die Saison zu verlängern.

Nicht zuletzt deshalb steht Bätzing sowohl dem in den letzten Wochen diskutierten Ausbau der Alemagna-Autobahn als auch dem Bau der Skischaukel Sillian-Sexten kritisch gegenüber. Denn die beiden Projekte zögen mehr Außenabhängigkeit nach sich. "Es macht meiner Meinung nach keinen Sinn, im Nachhinein Projekte umzusetzen, die Andere schon vor 20 Jahren umgesetzt haben", erklärt Bätzing. Außerdem führt die ständige Jagd nach neuen, künstlichen Erlebnis - Attraktionen zu einer Art "Erlebnis-Burnout" bei den Gästen, ist Bätzing überzeugt.
Doch die Aufwertung dieser inneren Potenziale, von denen besonders die Täler profitieren können, reicht für eine positive Entwicklung nicht aus, denn 70% der Arbeitsplätze befinden sich im Lienzer Talboden. Die Industrie wird daher auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. In der Absicherung der Anzahl der Industriearbeitsplätze sieht Bätzing bereits ein ambitioniertes Ziel. Die Chance liegt seiner Meinung nach in der Förderung und Weiterentwicklung der motivierten und innovativen Mitarbeiter. Die Mechatronik Universität in Lienz sieht er in diesem Zusammenhang als einen richtigen Schritt.

Ein Glas kann halbvoll oder halbleer sein. So sind auch die Osttirolerinnen und Osttiroler gefordert zu entscheiden, welche Perspektive sie ihrer Region gegenüber einnehmen wollen. Die kulturelle Enge sowie die soziale Kontrolle sind laut Bätzing in vielen Tälern und Regionen der Alpen eine Herausforderung. Die gleichen Regionen weisen gleichzeitig aber oft eine hohe Lebensqualität auf. Genau dies sei laut Bätzing auch in Osttirol zu beobachten. In dieser Lebensqualität, der starken kulturellen Identität und Eigenständigkeit sieht Bätzing den Schlüssel für die Zukunft der Region Osttirol. „Wenn ein Klima der kulturellen Lebendigkeit und des Verantwortungsbewusstseins für die Region forciert wird, kann ich mir gut vorstellen, dass Osttirol zu einer Modellregion für die Zukunft der Alpen werden könnte", so Bätzing abschließend.