Sie hatten nichts. Beide kamen sie aus bettelarmen, bäuerlichen Verhältnissen. Arm geboren, arm geblieben, so war das. Er ein lediges Kind, sie Tochter einer Magd, da war nicht viel zu erwarten. Sie hatten nur sich. Er kam schwer krank aus der russischen Kriegsgefangenschaft heim. Sie päppelte ihn auf. Bald nach dem Krieg heirateten sie. Die Hochzeitsgesellschaft war klein, aber es gab von allem genug, damit es ein Fest war. Sie bekamen drei Kinder, bewirtschafteten eine Hube in der Einschicht oben am Berg. Alle Wege hinunter in die Stadt mussten zu Fuß, später dann mit dem Motorrad bewältigt werden. Er war Holzknecht bei der „Herrschaft“, sie kümmerte sich um Haus, Hof und Kinder und verdiente da und dort was dazu. Irgendwann konnten sie in ein gemauertes Haus ziehen, das Wohnrecht dort war Teil ihres Lohnes. Besitz hatten sie selber nie. Es gab ein Schwein, eine Kuh, Hühner, jede Menge Katzen und einen Hund. Die Verbundenheit mit Vieh und Natur war selbstverständlich. Obstbäume gab es, einen Kartoffelacker und einen großen Gemüsegarten. Für Städter romantisch, für sie einfach notwendig zur Selbstversorgung.

Einmal in der Woche fuhren sie in den „Konsum“ hinunter und besorgten das Nötigste. Ihr bescheidenes Haus beherbergte die alte Mutter und später auch noch Tochter, Schwiegersohn und den kleinen Buben. In der aus Brettern gezimmerten „Garage“ stand ein VW Käfer. Der Bub schlief während der Heuernte auf dem Feld, saß mit dem Hund in der Hundehütte, suchte die jungen Katzen in ihrem Versteck im Heustadel. Er spielte mit seinen Matchbox-Autos im Dreck. Er lernte die Hühnersprache, roch den ausgekochten Darm beim Sauabstechen, aß Kirschen, Himbeeren und Hirn mit Ei. Er ging mit der Oma ins Gasthaus Bettwäsche bügeln und mit dem Opa Traktorfahren. Arbeit und Leben, das waren eins. Zwischen Werktagen und Sonn- und Feiertagen machte man einen Unterschied. Man zog sich fesch an, man kochte etwas Gutes. Die Kirchenglocken. Die Vorfreude auf das Mittagessen. Das Brodeln der Kaffeemaschine. Geborgenheit.

Nie hörte der Bub seine Großeltern jammern oder ein schlechtes Wort über jemanden sagen. Das Höchste war ein stummes Kopfschütteln, wenn es jemand gar zu bunt getrieben hatte. Ihr Leben war oft hart, aber hart sind sie dadurch nie geworden. Wer zu ihnen kam, wurde freudig empfangen, und was Keller und Speis hergaben, wurde aufgewartet. Die alten Federbetten hingen durch, und doch waren sie an Gemütlichkeit nicht zu überbieten. Alles im Haus war kalt, und doch gab es dort eine innere Wärme, die aus den Herzen jener ausstrahlte, die es bewohnten. Das ist es, was der Bub spürte, und mit diesem Gefühl wuchs er auf: dass es einen Platz für ihn gab, wo er richtig und willkommen war.

Auch in späteren Jahren zog es den Buben, der inzwischen kein Bub mehr war, immer wieder an diesen Platz, wo er Wärme fand. Und als er selbst eine Familie hatte, wurde die Wärme eben auf mehr Menschen aufgeteilt. Sie wurde dadurch nicht weniger. Gesten der Zuwendung: Der Ofen wurde mehr beheizt. Der Sterz in der Früh. Die Süßigkeitenlade, immer gefüllt. Der Schnapstee. Mit jedem mitgegebenen Salatkopf, jeder hausgemachten Marmelade, jedem Säckchen selbstgepflückten Kräutertee, mit jedem selbstgehäkelten Deckchen wurde auch noch etwas anderes mitgeschenkt, das aus dem Herzen kam, das einen still nährte und das fortdauerte.

Die Großeltern haben die Erde verlassen, und das Haus hat durch seine neuen Besitzer nicht nur die Bäume, die Blumen, den Garten und den Stall, sondern auch seine Seele verloren. Zu Weihnachten meldet sich der Bub im Mann, und mit ihm eine unbestimmte Sehnsucht nach kindlicher Geborgenheit, die im Außen nicht mehr zu finden ist. Was bleibt? Die Hoffnung, dass der Bub genügend Wärme bekommen hat, damit er sich selbst und anderen Herberge und Heimat sein kann. Das Wissen, dass Großzügigkeit keine Frage von Besitz ist. Und das Gefühl, dass ein offenes, aufrichtiges Herz das größte Geschenk von allen ist.