Am Anfang stand ein böses Foul. König Heinrich VIII. von England hatte sich vom Papst den dicken Orden eines „Defensor Fidei“, eines „Glaubensverteidigers“ dafür umhängen lassen, dass er 1521 mit einer Streitschrift gegen Martin Luther zu Felde gezogen war. Kurz darauf wollte er vom Papst nichts mehr wissen. Heinrich VIII. machte sich in England zum Oberhaupt seiner eigenen Kirche. Den päpstlichen Ehrentitel behielt er trotzdem, alle Kings und Queens nach ihm ebenfalls. Folglich ist heute auch Charles III. das zeremonielle Oberhaupt der „Church of England“, König „von Gottes Gnaden“, wie er sich nennt – und „Defender of the Faith“.

Nur: welcher Glaube wird da verteidigt? Bei der Englischen, der Anglikanischen Kirche ist das nicht so einfach zu sagen. Heinrich VIII. selber hatte nichts gegen das katholische Credo, er wollte aus dynastiepolitischen Gründen nur seine Ehe mit Katharina von Aragon annulliert haben. Papst Clemens VII. sagte Nein – da machte King Henry sich selbständig. Nach ihm hat die Church of England ziemlich alles mitgenommen, was an christlichen Strömungen so aufkam: Luther, Calvin, Pietismus, Erweckungsbewegungen, puritanische, liberale, evangelikale Ideen – während die „High Church“ in Kirchendisziplin und Liturgie bis heute nahe am katholischen Ursprung geblieben ist.

Quäker, Baptisten, Methodisten

Abweichler („Dissenters“), wurden das eine Mal verbannt, das andere Mal zugelassen. Andere spalteten sich ab: Quäker, Baptisten, Methodisten etwa. Dabei ging es nicht nur um theologischen Zank, sondern auch um politische Opposition: Durfte und darf der weltliche Herrscher auch noch über Gewissensfragen bestimmen?

Um den internen Frieden zu wahren, hat sich die Anglikanische Kirche seit langem für einen „Mittelweg“ zwischen Katholizismus und Protestantismus entschieden, für eine „comprehensiveness“, die in großer Elastizität alles als zulässig umgreift, was christlichen Prinzipien nicht widerspricht. Im Unterschied zu den evangelischen Kirchen jedoch anerkennt die Anglikanische eine zentrale Autorität: Den jeweiligen Erzbischof von Canterbury. Seit 2013 ist das der frühere Erdöl-Manager Justin Welby. Päpstliche Befugnisse hat der zwar nicht, er muss genauso elastisch sein wie seine Kirche, ausgleichend und von immenser Geduld. Er ist eine Art Familienoberhaupt.

Staatskirche sind die Anglikaner geblieben. Die Bischöfe ihrer 42 englischen Diözesen – Schottland und Wales gehören nicht dazu – werden auf kirchlichen Vorschlag und nach Prüfung durch den Premierminister vom König ernannt (selten blockiert); alle Kleriker von den Gemeindepfarrern bis zum Primas legen einen Treueeid auf den Monarchen ab; 26 Bischöfe sitzen im Britischen Oberhaus als „Geistliche Lords.“ Die Beschlüsse der in drei Kammern gegliederten Generalsynode – Bischöfe, Klerus, Laien – müssen durch beide Häuser des Britischen Parlaments (wo sie aber nicht verändert werden dürfen), und erlangen mit königlichem Stempel sogar Gesetzeskraft.

Monarch muss Anglikaner sein

Der britische Monarch als „Supreme Governor“ der Kirche wiederum muss Anglikaner sein – katholische oder protestantische „Rückfälle“ sind nach historisch schmerzhaften Erfahrungen damit ausgeschlossen –, und er schwört bei seiner Krönung, die Church of England zu erhalten. Das kostet den Staat nicht viel: Finanziell muss diese Kirche auf eigenen Füßen stehen. In England hat sie etwa 25 Millionen Mitglieder. Ihre Haupteinnahmen – 2020 waren das 471 Millionen Pfund, 51 Prozent des Budgets – bezieht sie aus Spenden; hinzu kommen die Erträge aus vielen Stiftungen.

Mit der Kolonisation, dem britischen Ausgreifen auf die Welt, hat sich die Church of England über die ganze Erde verbreitet. Heute zählt sie bis zu 85 Millionen Mitglieder in 165 Ländern, und gliedert sich in 42 der Definition nach „autonome, aber voneinander abhängige“ Kirchen. Erst im August haben sich die Bischöfe der globalen „Anglican Communion“ wieder zu ihrer etwa alle zehn Jahre stattfindenden „Lambeth-Konferenz“ beim Erzbischof von Canterbury als ihrem Primas getroffen.

Zwist um homosexuelle Ehen

Und wieder einmal stand da diese Kirchenfamilie am Rande des Zerfalls. Der Zwist um die Weihe von Frauen zu Priesterinnen und zu Bischöfinnen ist zwar beigelegt (in England seit 1994 und 2014); dafür die Frage, ob homosexuelle Ehen zulässig seien, womöglich gar unter Klerikern, heute spalterische Gewalt. Primas Welby, selbst eher konservativ, konnte die Versammlung nur durch mehrere Balanceakte retten: Er vermied Abstimmungen und hatte schon vorab alle gleichgeschlechtlich verbundenen Bischöfe und Bischöfinnen gebeten, ihre Partner und Partnerinnen zuhause zu lassen.

Dezentralisierung und Zusammenhalt, synodale Entscheidungen und Anerkennung eines Oberhaupts – das macht die Anglikaner auch für die zerklüftete katholische Kirche interessant. „Die Kirche braucht beides“, heißt es in einem gemeinsamen Papier: „eine vielfältige, verteilte Autorität unter Beteiligung des ganzen Gottesvolkes, und einen Gesamtprimas als Diener und Mittelpunkt der sichtbaren Einheit in Wahrheit und Liebe.“ Was Papst Franziskus vorschwebt, scheint in diese Richtung zu gehen.