Haben Sie sie schon einmal selbst gesehen, dort in 400 Kilometern Höhe im eisigen Vakuum des Alls? Sie können Ihren Blick in sternenklarer Nacht nach oben richten und mithilfe einer App auf Ihrem Smartphone genau jenen Moment abpassen, in dem die Internationale Raumstation ISS mit auch Tempo 140 sprengenden 28.800 Stundenkilometern an Ihrem Auge vorbeifliegt. Ein Aha-Effekt, vorausgesetzt, dass einem Lichtsmog nicht die Aussicht raubt.

In 90 Minuten um die Erde

Nur 90 Minuten braucht sie in ihrem Orbit für eine Umrundung unserer blauen kosmischen Murmel. Das Bordpersonal erlebt somit jeden Tag 16 Sonnenauf- und Sonnenuntergänge – zumindest eine recht eindrucksvolle Entschädigung für den Mangel an frischer Morgenluft.
Heute feiern die ISS und das derzeit dort stationierte Team um die Astronauten Serena Auñón-Chancellor (USA), Alexander Gerst (Deutschland) und den Kosmonauten Sergei Prokopjew (Russland) den 20. Geburtstag der Raumstation.

Am 20. November 1998 war es, als eine "Proton"-Schwerlastrakete mit dem russischen Fracht- und Antriebsmodul "Sarja" ("Morgenröte") das erste ISS-Bauteil in seine Umlaufbahn brachte. Der Grundstein für den seit 2. November 2000 dauerhaft bewohnten Außenposten der Menschheit war gelegt. 232 Raumfahrer waren bislang Teil der außerirdischen Wohngemeinschaft. Zwei davon, Michail Tjurin und Michael Lopez-Alegria, blieben gleich für 215 durchgehende Tage dort.


Die amerikanischen Space Shuttles, die einst als Bestelltaxis für die ISS dienten, fliegen längst nicht mehr – und auch die ISS selbst kam in die Jahre. Nachgerüstet werden musste seit ihrer grundsätzlichen Fertigstellung im Jahr 2011 laufend. Kleine und kleinste Einschläge vernarben Komponenten des Weltraum-Habitats, auch eines der Sonnensegel wurde bereits durchschlagen – was im All fatale Folgen haben kann. Mehrmals musste man zudem dem stetig wachsenden Berg von Weltraumschrott, Ansichtskarten von dem Planeten darunter, ausweichen. Gefährlich wurde es erst im Sommer, als ein kleines Leck in der russischen Sojus-Kapsel einen Druckabfall auslöste. Zuletzt missglückte der Start eines Versorgungsfluges.



Informationen zum tatsächlichen Zustand werden von Nasa und Roskosmos auffällig spärlich ausgegeben. Die Aussicht von Bord der ISS aus mag entrückend schön sein (Astronauten posten immer wieder Fotos), der Alltag an Bord ist hart und entbehrungsreich: Viel Zeit wird aufgewendet, um Geräte zu warten und Systeme aufrechtzuerhalten. Der Proviant besteht meist aus abgepackter Astronautennahrung. Und Privatsphäre? Die sollte man an Bord gar nicht erst suchen.


Wolfgang Baumjohann, Direktor des Instituts für Weltraumforschung, betont im Interview die politische Bedeutung der ISS: "Die Raumstation hat hohe Symbolkraft, als Zeichen für Frieden – zumindest im All." Dass im Unterschied zu einer alles anderen als friktionsfreien Erde das Miteinander an Bord der ISS über all die Jahre funktionierte, ist eine Frage des Überlebens – ohne Zusammenarbeit wäre der Außenposten gar nicht erst entstanden: Es brauchte stolze 136 Flüge mit sieben verschiedenen Trägersystemen, um das Material dafür ins All zu bringen.

Der wohl spannendste Aspekt ist der Effekt von Langzeitaufenthalten im All auf Körper und Psyche eines Menschen, wie auch Baumjohann bestätigt. Mit Spezialtraining will man dem körperlichen Abbau entgegenwirken. Studien in diesem Feld sind unabdingbar, will man mittelfristig Menschen zum Mars schießen. Anderen Forschungsprojekten an Bord der heute Fußballfelder großen Konstruktion misst er nicht zu viel Bedeutung bei: "Das könnte man auch automatisiert durchführen, womöglich besser."

150 Milliarden US-Dollar

Die Kosten von 150 Milliarden US-Dollar werden oft kolportiert, verbunden mit der Frage, wie lange "sie" noch ihre Runden ziehen wird. Baumjohann geht von einer Laufzeit von weiteren zehn Jahren aus, die Zukunft sieht er in einer Neukonstruktion: Die Nasa plant mit dem "Lunar Orbital Platform-Gateway" eine Raumstation im Mondorbit. Mit ihrem Bau soll 2022 begonnen werden. In weiterer Folge wäre permanente Präsenz auf dem Erdtrabanten selbst geplant. Geredet wird von einer Mondstation freilich schon seit den 1960er-Jahren.

Man gewann viele Erkenntnisse, besonders wertvoll scheinen die menschlichen: Alexander Gerst, der Deutsche, der an Bord der ISS um die Erde raste, während Sie diesen Artikel gelesen haben, sagte einmal: "Um zu erkennen, dass Menschen im All leben können, musste ich ein halbes Jahr hier oben verbringen. Um zu erkennen, wie schön die Erde ist, brauchte ich eine Minute. Um zu erkennen, wie zerbrechlich unser kleiner blauer Planet ist, brauchte ich bloß einen Augenblick."