"Die Nackten kann man nicht ausziehen", so ein altes Sprichwort: Das mag schon sein - ausnehmen kann man sie oder ihn allerdings sehr wohl noch. Eine aktuelle Warnung, die nun vom Bundeskriminalamt ausging, richtet sich an jene, die im Netz in allzu offenherziger Chat-Laune vor einem letztlich anonymen Gegenüber blank ziehen.

Ist einmal Vertrauen vorhanden bzw. herausgelockt, zeigen sich Menschen (zumindest ein gewisser Typus) vor einer Webcam also nackt und gewähren dem Gegenüber tiefe Einblicke, die dann alles andere als privat bleiben. Einem Gegenüber, den sie in echt nie gesehen haben, von dem sie bestenfalls seinen (fingierten) Nickname und/oder eine Adresse im Netz kennen. Motto: Ich weiß zwar eigentlich nichts von Dir, Du kannst aber alles von mir sehen. Böses Erwachen setzt erst ein, wenn dann eine Nachricht mit Zahlungsaufforderung eintrudelt. Davor muss offenbar wirklich eigens gewarnt werden.

Ein wenig Blößenwahn

Nun gibt es ein bewährtes Hausmittel gegen derartigen Blößenwahn, kostenlos und durchaus praktikabel - und es nennt sich: Hausverstand. Wer auch in erregterem Zustand ausreichende Dosen davon anwendet, dürfte nicht Gefahr laufen, am Ende erpresst zu werden. Wer heute allen Ernstes glaubt, das Internet behalte Geheimnisse (wie Nacktfotos oder Videos von sexuellen Handlungen an sich selbst) für sich, dürfte die letzten Jahre auf einem anderen Planeten zugebracht haben. Technologische Entwicklung und moralische Grundausstattung gehen in vielen Bereichen des modernen Lebens in diametral entgegengesetzte Richtungen. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste, sie darf aber durchaus auch vor dem PC, Tablet oder Smartphone Platz nehmen. Chatrooms sind am Ende immer nur so privat wie die daran Beteiligten es sind. Wer hätte das gedacht?

Wirklich anonym bleibt es selten, tatsächlich vertrauenswürdig war die Angelegenheit nie - und doch gibt es Menschen, die glauben, sich auf Internetplattformen "einmal ohne alles" präsentieren zu müssen. In einer "selfisierten" Welt scheint es dafür auch mehr Angriffsfläche zu geben: Heute verschicken auch Jugendliche, oft mitten in den Wirren der Pubertät, auf Druck hin und aus seltsamen Launen heraus, per Handy Nacktfotos von sich. Das muss dann zwar nicht unbedingt Gegenstand einer Erpressung mit Bereicherungsvorsatz werden, kann aber auch böse enden: für Cyber-Mobbing ein gefundenes Fressen. Man schießt Fotos von einem Menschen, den man eigentlich jeden Tag im Spiegel sieht (nämlich sich selbst) und schickt diese dann wie "stille Post" in das Netz. Ein Netz, das nichts vergisst. Digitale Demenz ist in diesem Fall ein Gerücht.

THOMAS GOLSER