Die Ausbreitung der hoch ansteckenden Delta-Variante des Coronavirus bedroht Chinas Aufschwung. In Nanjing, der Hauptstadt der exportstarken Provinz Jiangsu, wurde diese Variante Ende Juli erstmals in der Volksrepublik nachgewiesen. Seither hat sie sich im Land ausgebreitet: Bisher wurden landesweit mehr als 400 Infektionen mit der Variante gemeldet. Viele Städte warnen vor nicht unbedingt notwendigen Reisen. Wer es dennoch tut, muss einen negativen Test vorlegen.

Die Impfkampagne soll angesichts der steigenden Zahlen noch schneller vorangetrieben werden.
Die Impfkampagne soll angesichts der steigenden Zahlen noch schneller vorangetrieben werden. © (c) AP (Li Bo)

Die politischen Entscheidungsträger stehen unter Druck, da sie die Bevölkerung schützen und gleichzeitig die Wirtschaft nicht übermäßig belasten wollen. Eigentlich verfolgt die chinesische Regierung eine sogenannte Null-Covid-Strategie: Treten in einer Stadt oder Provinz kleine Cluster auf, werden die betroffenen Gebiete abgeriegelt und alle Einwohner auf das Virus getestet. "Die Delta-Variante ist die größte Bewährungsprobe für Chinas Null-Covid-Strategie seit dem ersten Ausbruch im vergangenen Jahr", sagte Ökonom Julian Evans-Pritchard von Capital Economics.

Die Commerzbank-Analysten erwarten, dass Binnenkonsum und Dienstleister unter den Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Delta-Variante leiden dürften. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat gerade erst seine Wachstumsprognose für Chinas Bruttoinlandsprodukt (BIP) gesenkt, und zwar von 8,4 auf 8,1 Prozent.

Yangzhou, das in der Nähe von Nanjing liegt, kämpft seit Mittwoch mit steigenden Corona-Fällen. Viele Fabriken und Logistikunternehmen in der Fünf-Millionen-Stadt wurden geschlossen, weil sich die Mitarbeiter in die Schlangen der Menschen einreihten, die sich testen lassen wollten - manche bis zu dreimal pro Woche. "Wir können keine Waren ausliefern, weil die Lieferfirma uns mitgeteilt hat, dass sie ihre Dienste eingestellt hat", sagte der Manager einer Spielzeugfabrik mit dem Nachnamen Wang. "In den vergangenen Tagen wurden viele Orte nach und nach abgesperrt. Wir wurden heute offiziell angewiesen, den Betrieb einzustellen. Kein Mitarbeiter ist in die Fabrik gekommen."

Der Tourismus könnte im August, der wegen der Schulferien normalerweise eine Hauptreisezeit ist, einen Rückschlag erleiden. In Zhangjiajie, wo die Hallelujah-Berge als Kulisse für den Kino-Blockbuster "Avatar" dienten, wurde ein Ausbruch der Krankheit mit Nanjing in Verbindung gebracht. Dieser soll auf eine Theateraufführung in einer Touristenattraktion am 22. Juli zurückzuführen sein.

Sorge um kleinere Orte

Chinas führender Corona-Experte Zhong Nanshan macht sich zwar keine allzu großen Sorgen über die Fähigkeit von Großstädten wie Nanjing, das Virus mit ihren "hervorragenden" Kontrollsystemen zu bekämpfen. Es gebe jedoch Zweifel an der Fähigkeit kleinerer Orte wie Zhangjiajie, die nur über begrenzte Ressourcen verfügten, wenn sie plötzlich die 2.000 Zuschauer der Show sowie deren enge Kontakte testen und aufspüren müssten, sagte der Experte chinesischen Medien zufolge.

Wohl eine Begleiterscheinung des Lockdowns: Hamsterkäufe und leere Supermarktregale, hier in Wuhan.
Wohl eine Begleiterscheinung des Lockdowns: Hamsterkäufe und leere Supermarktregale, hier in Wuhan. © (c) AP

Zhangjiajie in der Provinz Hunan hat einen Lockdown light verhängt, Touristenattraktionen und überdachte Vergnügungsstätten geschlossen und die Bevölkerung aufgefordert, unnötige Reisen zu vermeiden. "Alle Mitarbeiter unseres Hotels müssen sich alle zwei Tage einem Nukleinsäuretest unterziehen", sagte ein Rezeptionist mit dem Nachnamen Li im Zhangjiajie Huatian Hotel. Das Hotel ist für die Öffentlichkeit nicht zugänglich, das Online-Reservierungssystem ausgesetzt. Eine Mitarbeiterin der Reiseagentur Zhangjiajie China International Travel Agency mit dem Nachnamen Yin sagte, dass alle Mitarbeiter nach Hause geschickt wurden, um "Urlaub" zu machen. "Wir warten auf die Mitteilung, wann wir wieder anfangen können zu arbeiten", sagte sie.

Wuhan lässt gesamte Bevölkerung testen

Nun wurde auch bekannt, dass das einstige Pandemie-Epizentrum Wuhan seine gesamte Bevölkerung durchtestet. Wie die staatliche Volkszeitung am Dienstag berichtete, trafen die Behörden der Elf-Millionen-Metropole die Entscheidung, nachdem die ersten drei Infektionen in der Stadt seit gut einem Jahr verzeichnet wurden.

Das Coronavirus war im Dezember 2019 weltweit erstmals im zentralchinesischen Wuhan aufgetreten. Als Reaktion hatte die Regierung die Menschen in der Stadt für 76 Tage in einen Lockdown geschickt. Mit strikten Maßnahmen ging das bevölkerungsreichste Land seitdem gegen das Coronavirus vor, weshalb es - von einigen lokalen Ausbrüchen abgesehen - schon seit dem vergangenen Sommer so gut wie keine Infektionen mehr gibt.